Galle

Galle
Die Galle läuft (geht) ihm über (oder steigt ihm auf): er gerät in Zorn, äußert heftig seinen Ärger, vgl. französisch ›Cela lui fait déborder la bile‹. Die Redensart ist ursprünglich ganz wörtlich gemeint: Die Galle, die gelbliche Absonderung der Leber, gerät bei zorniger Erregung in Fluß und ist schon seit alter Zeit das Sinnbild für Bitteres, Unangenehmes, vgl. bitter wie Galle, gallenbitter, schon bei Heinrich von Türlin (›Der Aventiure Crône‹ V. 17205): »dâ ist ein bitter galle bî«. Die Redensart selbst ist belegt bei Hans Sachs:
   denn ist die Gall mir überlaufen,
   das ich ir thu ein kappen kaufen (= sie schlage).
   Gift und Galle spucken (speien): äußerst schlechter Laune sein, in Wut geraten ( Gift). Galle ist auch in den heutigen Mundarten noch in ähnlichem Sinne gebräuchlich, z.B. obersächsisch ›Galle sein mit jemandem‹, ihm böse sein; holsteinisch ›Ik heff en Gall up em‹, ich suche Händel mit ihm. Voller Galle sein: mißgelaunt sein; vgl. französisch ›fielleux‹. Schon seit dem Mittelhochdeutschen ist Galle schließlich auch zum Scheltwort für böse und neidische Personen geworden; in Ottokars ›Österreichischer Reimchronik‹ redet Adolf von Nassau von seinem Feinde Wenzel von Böhmen als von der »beheimischen gallen«, und in der ›Kudrun‹ (1278,1) ruft Gerlind Kudrun zu: »Nu swîc, du übele galle!«
   Die Galle mit Honig überziehen: die schlechte Laune mit Süßem vertreiben, was selten gelingt, denn: ›Galle bleibt Galle, wenn man sie auch mit Honig bestreicht‹, wie es im Sprichwort heißt.
   Galle und Honig – zwei entgegengesetzte Stoffe, die dennoch im Aussehen manches gemeinsam haben: Beide sind dickflüssig und zäh, beide von gelber Grundfarbe, woher ja auch ihre Namen etymologisch abzuleiten sind. Doch kontrastieren Galle und Honig im Geschmack und in der Verwertbarkeit. Galle schmeckt bitter, Honig süß; der Honig ist wertvoll, kräftigend und wird vom Blut leicht aufgenommen, der Genuß von Galle kann schaden. Sogar die eigene Galle wird dem Körper zum Gift, wenn sie nicht in den Darm abfließen kann, sondern ins Blut übertritt; sie führt dann zu Gelbsucht. Daher auch die bereits mittelhochdeutsch geläufige Formel ›Gift und Galle‹.
   Dem Gegensatzpaar ›Galle und Honig‹ hat die Germanistik einige Aufmerksamkeit geschenkt. Insbesondere hat Werner Fechter darüber eine größere Dokumentation vorgelegt, der wir hier folgen. Die Vermischung mit Galle nimmt dem Honig den Geschmack und die Verwertbarkeit; er wird ›vergällt‹.
   Galle symbolisiert das Schädliche, das sittlich Schlechte und Sündhafte, die Bosheit, die Falschheit, den Haß, den Neid und den Zorn. Metaphorisch kennzeichnet die Galle-Honig-Formel die Gefährdung des Menschen durch das Böse.
   Wer Gutes mit Bösem vergilt, gibt ›Galle für Honig‹ (Boner). Der Neidische hat ›Honig im Munde und Galle im Herzen‹ (Renner). Die Galle-Honig-Formel erscheint meist dort, wo ein Glück vergeht, eine Hoffnung zunichte wird, ein Schein trügt, wo sich die Gebrechlichkeit und Unzuverlässigkeit alles Irdischen als schmerzlich erweist.
   Die Taube hat keine Gallenblase. Daraus schloß die mittelalterliche Naturwissenschaft, daß sie ohne Galle sei, und das hieß in gleichnishafter Deutung, daß sie ohne Zorn, ohne Haß und Neid, überhaupt ohne Sünde sei. Häufig wird Maria als ›Taube ohne Galle‹ angesprochen, z.B. im ›Melker Marienlied‹: »du bist âne gallen glîch der turtiltûben«, oder in Konrads v. Würzburg ›Goldener Schmiede‹: »du bist ein reiniu türteltûbe sunder gallen« (V. 570f.). Die Worte und Werke der Jungfrau Maria sind daher ›Wie Honig ohne Galle‹.
   In der althochdeutschen und früh-mittelhochdeutschen Literatur kommt das Gegensatzpaar Galle- Honig noch nicht vor. Die Belege beginnen erst mit der Dichtung der mittelhochdeutschen Blütezeit, besonders bei Hartmann von Aue, z.B. im ›Armen Heinrich‹:
   sîn hôchvert muose vallen,
   sîn honec wart ze gallen.
Die Belege aus Minnesang und Spruchdichtung setzen mit Walther von der Vogelweide ein:
   der ist nû ein gift gevallen,
   ir honec ist worden zeiner gallen.
Von hinterlistigen Freunden sagt Walther:
   mir grûset, sô mich lachent an die lechelaere,
   den diu zunge honget und daz herze gallen hât.
Und in der, ›Elegie‹:
   owê wie uns mit süezen dingen ist vergeben!
   ich sihe die gallen mitten in dem honege sweben.
Für die Schuldigen an Mißständen in Rom erwartet Heinrich Frauenlob Bestrafung im Jenseits:
   si vindent gallen sicherlich dort in dem honicseim.
Die lehrhafte und die geistliche Dichtung arbeiten ebenfalls mit der Kontrastformel. Manchmal erscheint sie auch als Sprichwort und könnte dann, als kleine geschlossene Einheit aus dem Text herausgehoben, für sich bestehen, z.B. ›Wer nit galle versucht hat, weiss nit wie süß der honig schmeckt‹ (Geiler v. Kaysersberg); ›auzzen honik und innen gall‹ (Suchenwirth); ›Honig im Munde, Galle im Herzen‹ (Walther von der Vogelweide).
   Die Formel begegnet auch in lateinischer Sprache (ist allerdings in der Antike selbst nicht nachzuweisen). So gilt als Wahlspruch Kaiser Lothars die knappe Formulierung: ›ubi mel, ibi fel‹ (›Historische Chronica der vier Monarchien‹ [Frankfurt/M. 1642], 22. Tafel). Aus Sprichwörter-Sammlungen stammen: ›mel in ore, fel in corde gestitant meretriculae‹. Man darf dabei die helfende Rolle der lateinischen Grammatik nicht übersehen. Wer Latein lernte, wurde schon bald auf das Wortspiel ›fel – mel‹ gestoßen: Zwei Begriffe von starker Gegensätzlichkeit klingen fast gleich.
• E. BARGHEER: Artikel ›Galle‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens III, Spalte 271-279; TH. FRINGS: ›Galle und Honig‹, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (Halle) 75 (1953), S. 304-305; W. FECHTER: Artikel ›Galle und Honig‹. Eine Kontrastformel der mittelhochdeutschen Literatur, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (Tübingen) 80 (1958), S. 107-142.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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