Elbe(n)tritsche

Elbe(n)tritsche
ist der Name eines Phantasietieres in einem ländlichen Neckspiel aus dem Bereich der Narrenaufträge, mit dem man Fremde und Neulinge oder einen Einfältigen hänselt. Ihnen erklären die Eingeweihten, Elbetritsche seien wertvolle seltene Pelztiere oder eine Art Vögel, die sie jedoch mit ihrer Hilfe fangen können. Sie führen den Genarrten bei Nacht und Regen oder strengem Frost in den Wald oder auf ein entlegenes Feld und tragen ihm auf, geduldig einen Sack aufzuhalten, um darin die Elbetritsche zu fangen, die sie ihm zutreiben wollen. Heimlich kehren sie dann in die warme Gaststube zurück und amüsieren sich mächtig über den Angeführten, wenn dieser schließlich unverrichteter Dinge und durchnäßt oder klammgefroren zurückkommt.
   Neben der besonders in Rheinhessen, in der Pfalz und in Schwaben verbreiteten Leitform Elbe(n)tritschen fangen kennt man noch ›Rasselböcke‹, ›D(r)lappen‹, ›Dilldappen‹, ›Dölpes‹ und ›Lämmes‹ bzw. ›Lemkes fangen‹. Im Elsaß sagt man auch ›Giritze‹ und in der deutschsprachigen Schweiz ›Ellgriesli fangen‹. In Oberbayern heißt es den ›Greiß‹ oder ›Kreißen‹ fangen, und dem Gefoppten selbst hängt noch lange der Spitzname ›Kreißenjäger‹ nach. In Mecklenburg geht man den ›Trappen jagen‹ und in Südschleswig den ›Bäwer fangen‹.
   Etwas derber ist das holsteinische ›Bunsen‹ oder ›Bucksen jagen‹: der Neuling mußte seine ausgezogene Hose (= Buckse) vor das Hunde- oder Hühnerloch der verschlossenen Dielentür halten, um das wertvolle Pelztier einzufangen. Statt dessen warf einer jedoch eine Schaufel voll Kuh- oder Pferdemist durch das Loch in seine Hose. Beim ostpreußischen ›Rosbock‹ oder ›Rosemockjagen‹ muß der Halter des Sackes unter einer Treppe oder Leiter stehen, wobei ihm von oben ein Eimer Wasser über den Kopf gegossen wird.
   Im bayrischen ›Wolpertinger fangen‹ ist das fiktive Jagdtier ein scheußliches Ungeheuer mit großen scharfen Zähnen, aber sehr wertvollem Fell. In Flandern muß der Leichtgläubige beim ›schavacken vangen‹ im Qualm eines eigens angefachten ›Lockfeuers‹ ausharren. Für den Neckbrauch ist der phraseologische Haupttypus ›chasser le daru‹, oder ›dalu‹ in der französischen Schweiz, vorherrschend.
   In Frankreich heißt das fabelhafte vierbeinige Tier ›le dahut‹ (oder ›dahu‹). Seine Beine sollen auf der einen Seite kürzer sein als auf der anderen und es soll sich im Gebirge aufhalten. Man kann es angeblich leicht schießen, wenn man es auf einem Bergeshang aufstöbert und zur Umkehr zwingt, so daß es aus dem Gleichgewicht kommt und in den Abgrund stürzt.
   Wie all diese Formen ihre gemeinsame Wurzel in der Spottlust haben, in der allgemein menschlichen Neigung, sich auf Kosten anderer zu belustigen, so bedeuten Elbentritsch, Rasselbock und deren verschiedene landschaftliche Synonyme redensartlich oft zugleich ›Tölpel‹ und ›Dummkopf‹, eine geistig träge und einfältige Person, einen Menschen, dem man alles glauben machen kann. Und in vielen Fällen kann man diese Phantasienamen etymologisch auf Bezeichnungen von einfältigen, täppischen Menschen zurückführen, die sich leicht zu Opfern solcher Späße machen lassen.
   Daher die im Südwesten Deutschlands verbreiteten Redensarten: Der ist so dumm, mit dem kann man Elbetritsche fangen; auch mundartlich in vielfacher Form belegt: ›mit dehm kannschde bloß Hilwedritsche fange‹, er taugt zu nichts; ›mit dir kann mer Trappe fange!‹, du bist ein großer Dummkopf; ›merr wunn Dilldabbche fange mirrem‹, er ist so einfältig, daß man alles mit ihm anstellen kann; ›er ist so dumm, daß mer Rasselböck mit em fange kann‹.
   Dagegen ›Mit mir kannst de kao Rasselböck fange!‹: mich kannst du nicht für dumm verkaufen, wird auch als Zurückweisung von Zumutungen gebraucht. ›Mer maant, du gingst Ellwetrittscher fange‹ sagt man zu einem, der langsam dahinschlendert. Aber auch, wenn einer ohne ersichtlichen Grund eilig vorbeistürmt, ruft man ihm zu: ›Non, wilsd dildab graif?!‹ Wenn einer allzu neugierig fragt ›Wo gehst du hin?‹, bekommt er zur Antwort: Elbetritsche fangen (jagen), oder man kontert mit der redensartlichen Scherzfrage: gehst du mit Elbtritschen fangen?
   ›Er fängt Ilwertritsche‹ heißt es, wenn jemand an sinnlosen Stellen sucht, wo nichts zu finden ist und ›er tut Elbetritsche fange‹ sagt man im Scherz, wenn man nicht weiß, was einer schafft.
   Das Elbetritsche-Fangen ist ein beliebter Aprilscherz, April; an der Mosel wird es von den jungen Leuten verwendet, um die bei der Weinlese anwesenden Fremden zum Narren zu halten. ›Elwedritsche fange‹ wird daher mancherorts auch in der Bedeutung von ›jemand narren, veralbern, anführen‹ gebraucht. Auch in der handwerklich-industriellen Welt werden solche Narrenaufträge tradiert, und Lehrlinge und Neulinge schickt man Phantasiewerkzeuge wie die ›Dachschere‹, den ›Böschungshobel‹, ›Gewichte für die Wasserwaage‹ oder das ›Augenmaß‹ etc. zu holen, Wolpertinger, Dieldapp.
• H. HEPDING: Narrenaufträge, in: Hessische Blätter für Volkskunde, 18 (1919), S. 110ff. und 20 (1921), S. 42f.; R. MULCH: Elbentritschen und Verwandtes, in: Hessische Blätter für Volkskunde, 49/50 (1958), S. 176ff. und 51/52 (1960), S. 170ff.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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  • Wolpertinger — fangen (wollen): einem imaginären Fabelwesen (Mischwesen) nachjagen. Die Wendung gilt besonders im Bayrischen als Verspottung von Leichtgläubigkeit und vorgeblichem Heldentum.{{ppd}}    Wolpertinger schießen gehen: etwas Unsinniges vorhaben,… …   Das Wörterbuch der Idiome

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