Brücke

Brücke
Einem die Brücke treten: ihm in Bedrängnis zu Hilfe kommen, besonders: sich eines Verfolgten oder Beschuldigten annehmen, zu seinen Gunsten sprechen; auch von zweien gesagt, die sich gegenseitig unterstützen und für einander Partei ergreifen: Einander die Brücke treten.
   Unter der Brücke ist hier ursprünglich die Fall- oder Zugbrücke zu verstehen; sie lag so genau berechnet im Gleichgewicht, daß ein geringer Druck genügte, sie in Bewegung zu setzen. Der Torwächter konnte sie durch Treten auf ein Gegengewicht oder durch Treten auf die Brücke selbst herablassen und so dem, der in die Burg wollte, vielleicht einem Flüchtling, Eingang und damit den Burgfrieden, d.h. die Sicherheit der Burg, verschaffen.
   Die Redensart ist bereits mittelhochdeutsch im ›Alten Passional‹ als »eine brücke treten« belegt (Ausgabe von Hahn [Frankfurt a.M. 1845], 339, 18); seit dem 18. Jahrhundert wird sie in übertragener Bedeutung gebraucht. So begegnet sie unter anderem in der am Anfang des 18. Jahrhunderts erschienenen Schrift ›Sieben böse Geister, welche heutiges Tages die Küster oder sogenannte Dorfschulmeister regieren‹, wo von dem Schulmeister, der sich allerlei hat zuschulden kommen lassen, gesagt wird, er schicke seine Frau zum Pfarrer, »daß sie ihm die Brücke niedertreten solle«. In derselben Schrift heißt es, wenn die Visitation nahe, erwarte der Schulmeister, daß der Pfarrer ihm »den Rücken halte oder die Brücke niedertrete«. Ebenso bei Lessing: »Pfui doch, Lisette, erzürne ihn nicht. – Lisette: Was? ich glaube Sie treten ihm noch die Brücke«. Bedeutungsverwandt ist noch die niederdeutsche Redensart ›Ik mot jummer de Brugge dal treden‹, das Hindernis beheben.
   Dem Feinde goldene Brücken bauen: ihm den Rückzug erleichtern; in übertragener Anwendung: ihm entgegenkommen, ihm Zugeständnisse machen; dem Gegner jede Beschämung ersparen, ihm den Weg zur Versöhnung frei halten. Vielleicht war mit der ›goldenen Brücke‹ einst Bestechung zum Rückzug oder Übertritt gemeint. Die Redensart ist schon im 16. Jahrhundert bei Johann Fischart in der ›Geschichtklitterung‹ (1575, Neudruck S. 406) belegt: »Thu eh dem Feind Thür und Thor auff, vnd mach jm ein gulden Prucken, daß er fort mög rucken«. Vgl. französisch ›faire un pont d'or à quelqu'un‹ im Sinne von jemand eine hohe Geldsumme anbieten, um ihn für einen bestimmten Posten zu gewinnen.
   Daneben gibt es auch noch die vereinfachte Form der Redensart. Er baut andern eine Brücke (vgl. niederländisch ›Hij legt de brug voor een ander‹). So gebrauchte sie auch Bismarck: »Ich dachte: vielleicht gewinne ich die Herren, wenn ich ihnen die Brücke baue«. Wenn das Wort eine Brücke wäre! Zu ergänzen ist: dann wäre es eine Lügenbrücke, d.h. man könnte nicht darübergehen, ohne sich das Bein zu brechen. So sagt man zu einem Lügner oder Aufschneider. Gellert verwertete diese Wendung in seiner Erzählung ›Der Bauer und sein Sohn‹: Der Junge, der soeben aus der Fremde heimgekehrt ist, will seinem Vater weismachen, er habe einen Hund gesehen von der Größe eines Pferdes. Nach und nach nimmt er immer mehr von seiner Lüge zurück, je näher er mit seinem Vater an eine Brücke kommt, von der ihm sein Vater erzählt, ein Lügner, der darüber gehe, breche ein Bein.
   Gellerts Erzählung beruht auf der 88. Fabel im 3. Buch des ›Esopus‹ v. B. Waldis: ›Vom lügenhaften Jüngling‹; direkte Ableitungen des Testbrückenmotivs Gellerts aus den Seelenbrücken der mittelalterlichen Visionsallegorien und von den Bewährungsbrücken der Artusliteratur (Schwertbrücke, Brücke zu Karidol) oder den Glasbrücken der keltischen Mythologie sind nicht nachweisbar. Auch die Redensart Über die Brücke möchte ich nicht gehen: das glaube ich nicht, spielt auf Gellerts Fabel an. Vgl. Th. Fontanes Brief vom 29.1.1894 an seine Tochter Martha: »auf die Brücke trete ich nicht«; Lügenbrücke Lügenbrücke.
   Alle Brücken hinter sich abbrechen: sämtliche Bindungen lösen, eine erst in jüngerer Zeit belegte Redewendung, die jedoch wesentlich älter ist und schon im Lateinischen ihr Gegenstück besitzt: »Pons a tergo abruptus est« (Wander I, Spalte 485); vgl. französisch ›couper tous les ponts derrière soi‹. In den oberdeutschen Mundarten bedeutet ›Brücken machen‹: alte schulden mit neuen bezahlen; Eselsbrücke Eselsbrücke, Schiff.
• R. HILDEBRAND: Wie die Sprache altes Leben fortführt, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 5 (1891), S. 260 ff.; H. BÄCHTOLD-STÄUBLI: Artikel ›Brücke‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens I, Spalte 1659-1665; E.A. BAIN: »Don, t cross the bridge ...«, in: American Notes and Queries 2 (1942), S. 79; K. RANKE: Lügenbrücke, in: Festschrift Matthias Zender – Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesgeschichte, hrsg. von Edith Ennen und Günter Wiegelmann, Band II (Bonn 1972), S. 868-874; P. DINZELBACHER: Die Jenseitsbrücke im Mittelalter (Wien 1973), S. 115, 121, 162 ff.; K. RANKE: Artikel ›Brucke‹, in: Enzyklopädie des Märchens II, Spalte 823-835.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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