Wolf

Wolf
Sich bessern wie ein junger Wolf: ironisch für immer schlimmer werden. 1514 heißt es bei Tunnicius (Nr. 585): ›He sal sik beteren als ein junk wulf‹. Schon 1646 wird die Redensart bei Corvinus (›Fons lat.‹ 578) als deutungsbedürftig empfunden: »alle tag ärger werden«. Auch eine niederdeutsche Redensart der Gegenwart besitzt einen erklärenden Zusatz: ›Hei betert sek as en jung wulf, dei werd alle dâge rîtender (reißender)‹.
   Dem Wolf die Schafe (an)befehlen; Den Wolf zum Hirten (Gänsehirten) machen: ›Den Bock zum Gärtner machen‹. Vergleiche französisch ›mettre le loup dans la bergerie‹ (wörtlich: den Wolf in den Schafstall hereinlassen). Beide Redensarten verbindet Aug. Herm. Francke 1746 in seinen ›Sonn-, Fest- und Aposteltagspredigten‹ (1, 614): »was kan man ... hoffen, wenn ... der Bock ... zum Gärtner und der Wolf zum Hirten. bestellet wird?« Die Redensart wird heute zum Beispiel von einem schlechten Vormund gesagt, dem Kinder anvertraut werden.
   Das Gleichnis vom Wolf als Hirten ist alt. Schon um 1230 wird in Freidanks Lehrgedicht ›Bescheidenheit‹ (137, 11ff.) gesagt:
   Swâ der wolf ze hirte wirt,
   dâ mite sint diu schâf verirt (d.h. in die Irre
   geführt).
   swer den wolf nimt ze râtgeben,
   daz gât den schâfen an daz leben.
Walther von der Vogelweide hat das Bild auf den Papst angewendet: »Sîn hirte ist zeinem wolve im worden under sînen schâfen« (33, 30). Auch Luther ist die Redensart geläufig: »Es were eben als so man den wolfen ein herde schaff bevelhen wölt« (Briefe, Weimarer Ausgabe, Bd. 9, S. 29). Der Gedanke ist bereits in der Antike sprichwörtlich geformt: »O praeclarum custodem ovium, ut aiunt, lupum!« (Cicero, Philippica III, 11, 27); »Mavelis lupos apud oves linquere, quam hos domi, custodes« (Plautus, Pseudolus 140).
   Ein Wolf in Schafskleidern (im Schafspelz) wird nach Mt 7, 15 ein Scheinheiliger genannt: »Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe«. Das Bild ist schon früh in Deutschland bekanntgeworden. Um 830 heißt die Übersetzung der lateinischen Fassung einer ›Evangelienharmonie‹ des Syrers Tatian (41, l): »uuartet iu fon lugen uuizagon, sie quement zi iu in giuuatin scafo, inuuertes sind sie razeuuolua«. Um 817 schreibt Otfrid von Weißenburg: »sie sint iu in anaratin, in scafinen giwatin, thar buent inne in ware wolva filu suare« (II, 23, 10).
   Im 16. Jahrhundert reimt Burkard Waldis im ›Verlorenen Sohn‹ (V. 1993f.):
   Wan der wulf wil roven gan,
   Sv tuet he schapes kleder an.
Noch anders gereimt bei Wegeler (›Philosophia Patrum‹ Nr. 2115):
   Oft aus Lammeshaut
   Wolfes Tücke schaut.
Bei Lessing (›Nathan‹ 4, 4, 402) heißt es: »Ich werde hinter diesen jüdschen Wolf im philosophschen Schafpelz Hunde schon zu bringen wissen, die ihn zausen«. Der Volksmund kennt das Sprichwort: ›Der Wolf ändert das Haar, sonst bleibt er als er war‹. Ebenso sagt der Lateiner von Wolf und Fuchs: »Lupus (vulpes) pilum mutat, non mores« (Sueton). Dem biblischen Hintergrund der Redensart entsprechend findet sie sich auch in anderen Sprachen, z.B. englisch, ›a wolf in sheep's clothing‹; niederländisch ›een wolf in schaapskleren‹ (oder: ›in een schapevacht‹).
   Jeder ist des anderen Wolf: jeder denkt nur an sich, an seinen eigenen Vorteil; lateinisch ›homo homini lupus‹.
   Den Wolf bei den Ohren halten sagt man von einem mißlichen Unternehmen, das man weder abbrechen noch zu Ende führen kann. Wer den Wolf einmal bei den Ohren hält, kann ihn nicht wieder loslassen, ohne sich selbst zu gefährden, er ist also in Verlegenheit, weiß sich keinen Rat. 1592 heißt es bei Nigrinus: »Wann sichs begibt, dasz eines ... edelmanns weib schlechter dinge beschreyet wird ... und (es) sind nicht genugsame beweissthumb fürhanden ..., warlich da hat der richter den wolff bey den ohren und weisz nicht was er thun soll« (Grimm, Deutsches Wörterbuch 14, 2). Schon dem lateinischen Sprichwort war dieser Gedanke geläufig: ›Auriculis tenuisse lupum nimis horrida res est‹ (Tunnicius 273). Die Redensart belegt H. Schrader (S. 401f.) als Lieblingswort des Tiberius; dieser sagte es öfters, als er heuchlerisch zögerte, die Herrschaft über das Reich zu übernehmen (Suet. Tib. 25: ›Lupum se auribus tenere‹).
   Den Wolf sehen; Vom Wolf angesehen werden: sehr erschrecken. Diese beiden Redensarten zeigen noch den sprachlosen Schrecken und das Verstummen des Menschen früherer Zeiten vor einem Wolfsblick. 1531 heißt es in Sebastian Francks ›Chronica‹ (104a): »Socrates hat mit jedermans gespöt wider heim müssen ziehen und erstumpt gleich als hab ihn ein wolf gesehen«. Die Redensart findet sich heute nur noch in der Seemannssprache: ›He het de wulf (die stürmische See) seen, do is he al bang worden‹.
   ›Wer vom Wolf spricht, findet ihn an seiner Tür‹, wer das Übel nennt, wird von ihm ereilt, Teufel.
   Man muß mit den Wölfen heulen ist ein schon seit spätmittelhochdeutscher Zeit bezeugtes Sprichwort, mit dem man sich entschuldigt, wenn man sich in seinen Äußerungen und Handlungen nach einer schlechten Gesellschaft richtet. Das Sprichwort hat sich aber auch als Redensart verselbständigt: Mit den Wölfen heulen: sich jeder Umgebung anpassen; auch literarisch häufig belegt. Bei Agricola steht: »Wer unter Wölfen ist, muß mitheulen«; Geiler von Kaysersberg sagt: »Mit den Wölfen muoß man hülen«. In Lohensteins ›Arminius‹ (1, 451a) heißt es 1689: »Wenn man mit den Wölffen heulet ..., wird man allenthalben beliebt«. Wilh. Raabe schreibt im ›Hungerpastor‹ von 1864 (Bd. I, S. 63): »Hans Unwirsch hatte ... mit den Wölfen geheult und was die andern taten, hatte er ... ebenfalls getan«. Ludwig Körner, Präsident des Deutschen Bühnenklubs, Berlin, reimt:
   Mit den Wölfen muß man heulen,
   Eine alte Weisheit spricht,
   Aber mit dem Schwein zu grunzen,
   Braucht man drum noch lange nicht!
Vergleiche auch französisch ›Il faut hurler avec les loups‹; englisch ›Who keeps company with wolves, will learn to howl‹ und ›One must howl with the wolves‹; niederländisch ›huilen met de wolven in het bos‹.
   J.P. Hebel führt dieses Sprichwort in seinem ›Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes‹ ad absurdum: »›Man muß mit den Wölfen heulen‹, d.h.: wenn man zu unvernünftigen Leuten kommt, muß man auch unvernünftig tun wie sie? Merke: Nein! Sondern erstlich, du sollst dich nicht unter die Wölfe mischen, sondern ihnen aus dem Weg gehen. Zweitens, wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen: ›Ich bin ein Mensch und kein Wolf. Ich kann nicht so schön heulen wie ihr‹. Drittens: Wenn du meinst, es sei nimmer anders von ihnen loszukommen, so will dir der Hausfreund erlauben, ein- oder zweimal mitzubellen, aber du sollst nicht mit ihnen beißen und anderer Leute Schafe fressen. Sonst kommt zuletzt der Jäger, und du wirst mit ihnen erschossen«.
   Versuchen, dem Wolf etwas aus dem Rachen zu reißen: sich viel zumuten, ein zu großes, unmögliches Vorhaben beginnen. »Ihr sucht dem Wolf ein Lamm zu reissen aus dem Rachen« (Gryphius, Trauerspiele 157). Die Wendung ist schon lateinisch bezeugt: ›lupo agnum eripere‹ (Plautus).
   Eine Gegend, wo die Wölfe einander gute Nacht sagen, ist eine unsichere, wilde Gegend. »Spessert ..., allwo die wölff einander gute Nacht geben« (Grimmelshausen, Simplicissimus 11, Scholte); Fuchs.
   Einen Wolfshunger haben. Der unersättliche Wolfsmagen ist früh sprichwörtlich geworden; schon das griechische Sprichwort kannte ihn, und im Lateinischen heißt es (Plautus, Stich. 605): »Hereditatem inhiat quasi esuriens lupus« = wie ein hungriger Wolf. Hebbel (Sämtl. Werke 9, 101) schreibt: »Hungrig bin ich auch wie der Wolf, wenn er ein Schaf blöken hört«. ›Gier‹ ist der Name des Wolfes im ›Reineke Fuchs‹, der der Wölfin ›Frau Gieremund‹. Vergleiche französisch ›avoir une faim de loup‹.
• BIBLIOTHEKAR CHETHAM: Wolf in Shepard's Clothes, in: American Notes and Queries 2, 7 (1859), S. 178; H. SCHRADER: Das Ohr in sprachlichen Bildern und Gleichnissen, in: Zeitschrift für deutsche Sprache (Hamburg 1893/ 94), S. 401-450; O. KELLER: Die antike Tierwelt, 1 (Leipzig 1909), S. 87-88; W.E. PEUCKERT: Artikel ›Wolf‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens IX, Spalte 716-794; S. SINGER: Sprichwörter des Mittelalters, I, 75f., III, 96f.; V.B. DRÖSCHER: Mit den Wölfen heulen (Düsseldorf – Wien 1978); D. WARD: The Wolf: Proverbial Ambivalence, in: Proverbium 4 (1987), S. 211-224; J. LEIBBRAND: Speculum Bestialitatis (München 1989), S. 154ff.}
Dem Wolf die Schafe befehlen. Steinhöwel: Esopus, Die XIII. fabel vo den wolffen schaffen vh hunde.
Ein Wolf im Schafspelz. Titelholzschnitt zu Urbanus Rhegius: Wie man die falschen Propheten erkennen ia greiffen mag ..., Braunschweig 1539.
Ein Wolf im Schafspelz. Karikatur von Haitzinger, vom 9.I.90. Aus: Badische Zeitung., Nr. 7, vom 10. Januar 1990.
Ein Wolf im Schafspelz. Holzplastik, Bienenstock, 19. Jahrhundert, Fotoarchiv, Museum in Martin /Slowakei, Foto: Ián Dérer.
Mit den Wölfen heulen. P.e.R., Plate XLVIII.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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