spitzen

spitzen
Einem spitz kommen: ihn mit Worten verletzen. Worte können verwunden wie Schwerter, und Zungenstiche sind oft wie Lanzenstiche; vgl. französisch ›avoir la langue pointue‹ wörtlich: ›Eine spitze Zunge haben‹, im Sinne von ›Eine Lästerzunge sein‹. Auch ›Sticheln‹ und bairisch ›spießeln‹ gehören hierher; ferner obersächsisch ›Spitzbirnen austeilen‹, Stichelreden führen: ›Hier werfen se mit Spitzbern‹, hier wird gestichelt, gelästert.
   Spitzen heißen auch die gehäkelten oder geklöppelten Erzeugnisse des fraulichen Hausfleißes, daher übertragen sächsisch ›Sie handelt mit Spitzen‹, sie führt spitzige Reden. Auch ein schlauer, durchtriebener Mensch wird (neben ›Spitzbube‹) ›Spitzenhändler‹ genannt.
   Schwäbisch hört man für einen unangenehmen Menschen häufig den redensartlichen Vergleich: ›Er ist mir wie Spitzgras!‹
   Etwas spitz kriegen: begreifen, herausbekommen, merken, durchschauen; häufig in negativer Anwendung: ›Etwas nicht spitz kriegen können‹, es nicht durchschauen, auch: weder ein noch aus wissen.
   Einen Spitz haben: einen Rausch haben, sich betrinken. Die Redensart ist bereits im 16. Jahrhundert belegt, zum Beispiel bei Hans Sachs, ›Der Fritz im Wandkasten‹, wo es heißt (V. 32): »Der knecht het noch ain spicz«.
   Einer Sache die Spitze abbrechen (nehmen): einem Vorwurf, einer unangenehmen Sache und so weiter das Verletzende, die Gefährlichkeit nehmen, ihr geschickt begegnen; vgl. niederländisch ›de spits afbijten‹; englisch ›to turn the edge of something‹, ›to break the neck of an affair‹.
   Einem die Spitze bieten (vgl. niederländisch ›het spits bieden‹; französisch ›tenir tête à quelqu'un‹; englisch ›to make head against‹): ihm Trotz bieten, eigentlich: ihm die Spitze des Schwertes entgegenhalten und ihn so zum Zweikampf herausfordern.
   Noch in neuerer Zeit ist ›Einen vor die Spitze fordern‹ im gleichen Sinne gebräuchlich wie: ihn vor die Klinge, das heißt zum Zweikampf, herausfordern. In kühner Zusammenfassung mit ähnlichen Wendungen findet sich die Redensart in einem Siegeslied auf die Eroberung von Ofen 1686, wo der Türke verspottet wird:
   Teutschmeisters heroisches Martisgemüthe,
   Der weiß dir Trutz bieten, Pistolen und Spitz.
Die Redensart geht aber bis ins Mittelalter zurück; in dem Gedicht Heinzelins von Konstanz ›Von dem Ritter und von dem Pfaffen‹ (um 1320) begegnet in demselben Sinne »einem ein eggen (d.i. Ecke, Schneide, Spitze) bieten«. Aus dem Bairischen bezeugt Andreas Schmeller häufig die Wendung ›einem Spitz und Knopf zugleich bieten‹ im Sinne von ihn möglichst weit bedrängen, eigentlich: ihm fast im selben Augenblick die Degenspitze (zum Angriff) und den Degenknauf (zur Abwehr) entgegenhalten und ihm so im Zweikampf zu schaffen machen.
   Auf Spitz(e) und Knopf stehen: bis zuletzt gut oder schlecht ausgehen können; besonders bairisch und schwäbisch häufig: ›Es steht auf Spitz und Knopf‹ es ist bis zum Äußersten gekommen. Ähnlich: Etwas auf die Spitze treiben: es zum offenen Kampf, bis zum Äußersten bringen; vgl. niederländisch ›iets op de spits drijven‹; französisch ›pousser les choses à l'extrême‹; englisch ›to carry matters to extremities‹, ›to push things too far‹.
   Sich auf etwas spitzen: sich Hoffnung auf etwas machen, auf etwas lauern, gespannt sein. Vielleicht verkürzt aus: ›Die Ohren spitzen‹ (Ohr), möglicherweise aber auch einfach deshalb, weil man unwillkürlich den Mund spitzt, wenn man etwas besonders Leckeres für seine Zunge erwartet, oder allgemein von einem ›Spannen‹ der Sinne. Bairisch-österreichisch ist die Wendung heute noch besonders beliebt: »Geltn's, da spitzen's!« sagt der Münchner Alois Permaneder in Thomas Manns ›Buddenbrooks‹ (6. Teil, 4. Kap.) zur Lübecker Konsulin Buddenbrook, als diese seine gleichbedeutende Wendung »Geltn's, da schaun's!« nicht versteht; wienerisch ›i spitz scho(n) drauf‹ bedeutet: ich lauere schon darauf. ›Da wirst spitzen‹, da wirst du staunen.
   Jemanden anspitzen: jemanden auf etwas (meistens auf Geld) ansprechen, anbetteln; aber auch: ihn neugierig, aufmerksam auf etwas machen, ihn bewußt mißtrauisch werden lassen, ihn zum Eingreifen drängen.
   Als das älteste deutsche Sprichwort hat Andreas Heusler jene Stelle des althochdeutschen Hildebrandsliedes bezeichnet, in der es heißt: »mit geru scal man geba infahan, ort widar orte«, das heißt mit dem Speer soll man (oder: der Mann) eine Gabe in Empfang nehmen. Die redensartliche Formel ›ort widar orte‹ hat Heusler frei übersetzt: ›hart auf hart‹, und er sieht in diesem Sprichwort einen Ausdruck altgermanischen Kämpfertums. Wir können natürlich nicht wissen, und auch Heusler ist den Beweis dafür schuldig geblieben, ob diese Wendung wirklich redensartlich, das heißt allgemein, angewandt worden ist. Dafür sind die Quellen zu unergiebig. Ein zweites Bedenken kommt hinzu: Mit der Wendung ›ort widar orte‹, was ja eigentlich ›Spitze gegen Spitze‹ heißt, ist vermutlich etwas ganz anderes als das frei übertragene ›hart auf hart‹ gemeint.
   ›Spitze gegen Spitze‹ ist noch nicht eine bildliche Redensart, sondern es ist wohl eine Realität des Kriegsbrauches. In dem berühmten Bildteppich von Bayeux findet sich zum Beispiel eine ganz parallele Darstellung, wobei der Schlüssel einer belagerten Festung dem Eroberer von Speerspitze zu Speerspitze übergeben wird. Es liegt also nichts Ethisches in der Formel ›Spitze gegen Spitze‹, wie Heusler annahm, sondern es kommt in dieser Formel eine Distanz des Mißtrauens zum Ausdruck, wie sie zum Kriegsbrauch in heroischer Zeit paßte. Der Beleg auf dem Teppich von Bayeux zeigt uns, daß die sprachliche Formel nicht etwa schon als bildhafte Formel, sondern zunächst noch ganz real aufzufassen ist: Die Verbreitung der selben Kampfregel zeigt noch im 11. Jahrhundert die langobardische Chronik von Novalese, wo ebenfalls zwischen zwei Kriegern eine Gabe von Speerspitze zu Speerspitze ausgetauscht wird. Im ›Nibelungenlied‹ heißt es in der 25. Aventiure (Vers 1553): »Vil hôhe an dem swerte einen bouc er im dô bôt«, das heißt Hagen reicht dem Fährmann an der Spitze seines Schwertes einen goldenen Armring.
   Im Heischelied der Kinder hat sich dieser Brauch noch bis zur Gegenwart erhalten, so zum Beispiel thüringisch:
   Ich reck män Spieß übern Herrn sän Disch,
   Ist de Härr e gude Mao,
   Steckt er mir ä Grabbel nao;
   Ist de Härr kä gude Mao
   Schmeiß ich ihm de Dier rächt nao.
Etwas ist (einsame) Spitze: eine Sache ist ganz ausgezeichnet. Die Redensart war besonders in den 70er Jahren ein beliebtes Modewort der Jugendsprache.
   Etwas auf die Spitze treiben: etwas bis zum Äußersten treiben.
   Nur die Spitze des Eisbergs sehen: nur einen kleinen Teil einer (noch) unsichtbaren Katastrophe erkennen können, die in Wirklichkeit weit größere Ausmaße und Auswirkungen besitzt, wie Eisberge nur zu l/7 ihrer Masse aus dem Wasser ragen.
   Ein Spitzenreiter sein: immer an der Spitze einer Tabelle sein, immer der Beste, der Oberste sein; ursprünglich militärisch wörtlich gemeint.
• S. SINGER: Sprichwort-Studien, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 37 (1939/40), S. 129.}
Spitze gegen Spitze. Detail aus dem Bildteppich von Bayeux, letztes Drittel des 11. Jahrhunderts.
Die Spitze des Eisbergs. Karikatur von Hanel, 85. Aus: DER SPIEGEL, Nr. 38, vom 16. September 1985.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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