Seele

Seele
Eine große Anzahl von Redensarten hat sich des Begriffes Seele bedient, jedoch in ganz verschiedener Bedeutung. Mit der Vorstellung vom Sitz der Seele im Körper des Menschen hängen die Redensarten zusammen, in denen vom Ausfahren der Seele beim Tode die Rede ist, zeitlich.
   Er hat seine Seele ausgehaucht: er ist gestorben, literarisch bei Sebastian Brant (›Narrenschiff‹): »bis das die sel fert uß dem mund«. Vergleiche französisch ›Il a rendu l'âme‹.
   Die Seele sitzt ihm auf der Zunge: er liegt im Sterben. Luther (3, 397b) sagt: »Denn es sind etliche so verseumblich, daß sie nicht eher lassen fordern, bis die seel auf der zungen sitzt«. Sebastian Franck verzeichnet in seiner ›Sprichwörter-Sammlung‹ (II, 152b): »Die seel under den zeenen haben«. Von einem Alten, der scheinbar alles überlebt, sagt man: Die Seele ist ihm angewachsen (angeklebt); vgl. französisch ›II a l'âme rivée (festgeschraubt) au corps‹ (Er kann nicht so bald sterben).
   Eine große Anzahl an Redensarten läßt sich aus dem ›Arme-Seelen-Glauben‹ erklären, nach dem die in Schuld Verstorbenen diese Schuld im Fegefeuer oder auch als Geister abbüßen müssen. Durch Gebet und Fürbitte kann der Gläubige zur Erlösung beitragen.
   Nun hat die arme Seele Ruh sagt man etwa, wenn ein Kind nach langem Quälen das Gewünschte erhalten hat, was es verlangte. Ebenso wie die erlöste ›arme Seele‹ hält es nun Ruhe. Daneben steht: Nun hat die liebe Seele Ruh, wohl nach Lk 12, 19: »Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe«, Ruhe.
   Er setzt seine Seele auf die Übertür sagt man vom Kaufmann, der Gewichtsbetrug macht; ähnlich beim betrügerischen Bäcker: Er hat seine Seele ins Brot gebacken. Gewichtsbetrug war eine jener Sünden, die nach dem Tode mit ruhelosem Umherirren der Seele oder mit dem Fegefeuer bestraft wurden; ebenso der Meineid. Von einem Meineidigen heißt es noch heute in Schleswig-Holstein: ›He hett Seel und Seligkeit verswaren‹.
   Das Schwören bei seiner Seele ist wohl als alter Rechtsbrauch anzusehen. Schon im ›Iwein‹ Hartmanns von Aue (1236) heißt es: »des sî mîn sêle iuwer pfant«. Bis ins 18. Jahrhundert hinein ist das ›Schwören bei oder in eines anderen Seele‹ belegt, so in einer Dresdener Urkunde aus dem Jahre 1719: »zur erhuldigungs- und lehenspflicht, daz er solch in unsre seelen ablegen solt«. Vergleiche französisch ›jurer par son âme‹.
   In den Verkürzungen Meiner Seel! oder Mein Seel!
ist diese Beteuerung noch heute lebendig. Oft treten sie in abgewandelten Formen wie ›Mein Sechs‹, ›Mein Six‹ auf,
   Die Rda. auf dein Seel' und Gewissen, noch bei Seb. Franck zu finden (vgl. frz. ›en mon äme et conscience‹), wird heute in der Regel ersetzt durch ›auf Ehre und Gewissen‹. Beim Schwur setzte man die Seele zum Pfand. Diese Vorstellung liegt auch in den Rdaa. seine Seele dem Teufel verpfänden, verkaufen; vgl. frz. ›vendre son äme au diable‹. Wer sich dem Teufel.verschwor', verpfändete ihm seine Seele. Aus der Vorstellung vom Pakt mit dem Teufel und der von der Armen Seele lebt die Rda. hinter etw. her sein wie der Teufel hinter der armen Seele, Teufel.
   Die Seele als Sitz des Gemütes und Gewissens liegt den Redensarten Jemandem etwas auf die Seele binden, legen zugrunde: ihm etwas eindringlich ›ans Herz‹ legen, es seiner Obhut anvertrauen. Literarisch verwendet von Schiller im ›Don Carlos‹ (4, 21): »Sagen Sie ihm, daß ich Menschenglück auf seine Seele lege«.
   Im Niederdeutschen wird die Wendung noch in anderer Bedeutung gebraucht, denn eine neugierige, schwatzhafte Frau erhält auf ihre Fragen häufig die Antwort: ›Das werde ich dir auch gerade auf die Seele binden!‹: Das wirst du von mir niemals erfahren, vgl. ›Jemandem etwas auf die Nase binden‹, Nase.
   Ganz offensichtlich sah man im Herzen den Sitz der Seele, ja man setzte beide Begriffe gleich. Dies erklärt die Auswechselbarkeit der beiden Begriffe, z.B. etw. auf dem Herzen, auf der Seele haben oder sich etw. vom Herzen, von der Seele reden.
   Ein Herz und eine Seele sein sagt man von zwei Personen, die in ihren Anschauungen völlig übereinstimmen. Apg 4, 32 heißt es: »Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele«.
   Eine ebensolche völlige Übereinstimmung drückt sich aus in Zwei Seelen und ein Gedanke. Diese Redensart geht zurück auf Friedrich Halms (1806-71) Drama ›Der Sohn der Wildnis‹ von 1842 (II):
   Zwei Seelen und ein Gedanke
   Zwei Herzen und ein Schlag.
Ähnlich heißt es in Shakespeares ›Sommernachtstraum‹ (II, 2, 50): »Two bosoms and a single troth«.
   Von ganzem Herzen und von ganzer Seele wünscht man etwas, also ›mit seinem ganzen Wesen‹; gekürzt aus Mt 22, 37: »Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte«, ein Wort, das im Lutherischen Katechismus oft vorkommt. Vergleiche französisch ›de tout son caeur et de toute son âme‹.
   In gleicher Bedeutung: Aus tiefster Seele etwas hoffen.
   Eine Seele von Mensch nennt man einen, der besonders gütig ist. Ähnlich: Eine treue, gute, geduldige Seele.
   Als Durstige Seele bezeichnet man heute in scherzhafter Abwandlung von Ps 107, 9 den Trinker.
   Die Seele des Geschäftes ist der, ohne den das Geschäft nicht bestehen könnte, der also die Hauptsache, die Triebfeder darstellt; vgl. französisch ›l'âme de l'affaire‹, ›l'âme du complot‹ (Hauptanführer).
   Mit Seelchen bezeichnete man im 18. Jahrhundert ein zartes, empfindsames Mädchen; heute wird der Ausdruck pejorativ im Sinne von: sentimental, ohne viel Geist gebraucht.
   Jemand ist eine schöne Seele: jemand hat ein ausgeglichenes Gemüt, ist gutherzig, freigebig, intelligent. Der Begriff der ›schönen Seele‹ geht auf die Antike zurück und kommt über Shaftesbury und Wieland zu Schiller und Goethe, welche ihn jedoch unterschiedlich fassen. Schillers Ideal der ›schönen Seele‹ ist eine Harmonie zwischen dem natürlichen und geistigen Sein des Menschen, quasi ein Übereinstimmen des Menschen mit sich selbst.
   Goethe überträgt auch den Begriff des Schönen vom Sinnenhaften in den seelischen Bereich; er überschreibt das 6. Buch der ›Lehrjahre‹ (1795/96) mit: ›Bekenntnisse einer schönen Seele‹, meint aber hier die fromme, den Herrnhutern verbundene Freundin seiner Mutter, Susanna Katharina von Klettenberg (1723-74).
   Ein Seelenwärmer ist eine Strickjacke, ursprünglich das Rücken und Brust bedeckende dreieckige Trachtentuch.
   Mit Seelenverkäufer bezeichnete man ursprünglich den Sklavenhändler, der mit Menschen, also mit Seelen, handelte. Wohl in der Zeit der Auswanderungen nach Amerika übertrug man die Bezeichnung auf die für die Überfahrt gekauften Schiffe, die wegen Geldmangels meist alt und brüchig waren und oft das Reiseziel nicht erreichten.
   Eine große Zahl an Worten hat sich mit dem Ausdruck Seele verbunden, z.B. Seelenadel, Seelengröße, Seelenruhe, Seelenvergnügt, Seelenverwandtschaft usw. Auch manche Redensart, die ursprünglich nichts mit der Seele zu tun hatte, wurde durch diesen Begriff verstärkt. So hieß es für ›Einem etwas dringend ans Herz legen‹ im 16. Jahrhundert noch nicht ›Ihm etwas auf die Seele binden‹, sondern man sagte bloß: ›es einem einbinden‹. In der ›Hildesheimer Chronik‹ von Oldecop (S. 98) steht: »Und dusse befeil war allen hemelich eingebunden und befolen«.
• W. FELDMANN: Modewörter des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 6 (1904/05), S. 101-119; 299-353; M.V. WALDBERG: Studien und Quellen zur Geschichte des Romans. Bd. 1: Zur Entwicklungsgeschichte der »schönen Seele« bei den spanischen Mystikern (Berlin 1910); O. TOBLER: Die Epiphanie der Seele in der deutschen Volkssage (Diss. 1911); E. ROHDE: Psyche. Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen (Tübingen 101925); E. MOSER-RATH: Artikel ›Arme Seele‹ in: Handwörterbuch d. Sage, Bd. I, Spalte 628-641; J. SAILER. Die Armen Seelen in der Volkssage (Diss. München 1956); I. PAULSON: Die primitiven Seelenvorstellungen der nordeurasischen Völker (Stockholm 1958); G. THOMANN: Die armen Seelen im Totenbrauch und Totenglauben des altbayerischen, insbesondere des oberpfälzischen Raumes (Diss. Würzburg 1969); J. LE GOFF: Die Geburt des Fegefeuers (Stuttgart 1984).
Die Seele aushauchen. Verbrennung des Johannes Hus zu Konstanz 1415. Seine Seele steigt zu Gott auf. Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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