schleifen

schleifen
Schleifen und wenden können: gewandt, betrügerisch sein. Agricola erklärt diese alte Formel (II, 84):
   »Schleiffen vnd wenden – d.i. liegen, triegen vnd verschlahen, das es leicht abgeht vnd nit saur wirt, dann schleiffen vnd wenden wil für sich ain yetliches ainen aignen menschen han. Zum schleiffen gehören zwu hende, dessgleichen zum wenden. Wer nun zwu schwäre arbeit auff ainmal vnd leichtig thun kann, der kan schleiffen vnd wenden, d.i. auff alle tail verschmitzet vnd abgeschliffen auf alle ecken. Vor dir ist er gut, hinter dir ist er dein Teufel«.
   Im Moers heißt diese Redensart ähnlich: ›He kann slîpen on dreien‹ (drehen).
   Er schleift, aber nicht ohne Wasser: er kann auch nicht mehr als andere. Diese Redensart ist auch mundartlich verbreitet. Im Sauerland heißt es z.B. ›Hei slîepet auk nie ohne Water‹. Die Redensart ›He slîpt nig dröge‹ bedeutet dagegen in Bremen: er trinkt gern.
   Die Vorstellung des Schärfens und Schleifens von Messern, Scheren und Waffen an der Schleifscheibe, die hinter den genannten Redensarten steht, ist noch in einer Abbildung in Murners ›Schelmenzunft‹ von 1512 lebendig, während die dazugehörige Redensart Glatte (breite) Worte schleifen nur noch übertragene Bedeutung besitzt. Er schleift Worte heißt: er versteht es, sich gewandt auszudrücken, er stellt alles als gut und richtig hin. In der älteren Sprache hatte diese Redensart noch mehr als heute den Nebensinn von Lüge und Betrug. So schreibt Luther (3, 388b): »wie denn die gottlosen jre Wort wissen zu wetzen, zu scherffen, und zu schleiffen«. Auch in einem Fastnachtsspiel (Ausgabe v. Keller, 386, 31) ist davon die Rede: »Und treiben mangerlei gewesch mit worten uber ort geschliffen«. Bei Murner heißt es in seiner ›Schelmenzunft‹ (37, 22, 15 Neudruck):
   man find ietz meister, die dich leren
   wie du deyn worter umb solt keren,
   schliffen glatt und glitzendt gerben
   und uff der Zungen zierlich ferben.
So bedeutet auch ›e g'schliffes Mul haben‹: eine beredte, gewandte Zunge haben. Ein abgeschliffener Kerl sein: routiniert, pfiffig, betrügerisch sein, vgl. ›abgefeimt‹.
   In neuerer Zeit spricht man auch von Geschliffenen Versen; vgl. französisch ›limer et perfectionner ses écrits‹ (Boileau); von einem Geschliffnen Geist, Einer mörderisch geschliffenen Ironie und Vom Schleifen des Verstandes.
   Er schleift sich selbst den Degen, womit er sich sticht: er bereitet sich selbst Unannehmlichkeiten oder seinen Untergang.
   Etwas geht wie geschliffen: ganz leicht.
   Jemanden schleifen: ihn zu gesittetem Betragen erziehen, ihn abrichten, tüchtig zur Arbeit heranziehen, auch: scharf exerzieren. Schleifen meint hier auch in übertragenem Sinne: die Unebenheiten beseitigen, eine glatte, wohlgefällige Oberfläche herstellen. Die Redensart hatte ursprünglich einen realen Hintergrund und weist auf einen alten Aufnahmebrauch bei der Übernahme eines Lehrlings in den Gesellenstand hin, besonders bei den Böttchern (vgl. Wissell II, 465ff.).
   Jemanden zu Tode schleifen: ihn unsagbar quälen, eine mittelalterliche Strafe für Verbrecher und gefangene Feinde, die an Pferde gebunden wurden.
   Ein geschliffener Mann sein, Ein geschliffenes Wesen haben: gebildet, angenehm im Betragen sein. Häufiger ist die Wendung in negativer Bedeutung: Ein ungeschliffenes Wesen haben: ungebildet, eckig im Betragen sein, vgl. ›Ungehobelt sein‹, Hobel.
   Der Nasenschleifer behandelt die Leute, die in alles ihre Nase stecken; er schleift sie ihnen ab.
   Etwas schleifen: in der älteren Sprache etwas zerstören, verderben, z.B. eine Stadt (Burg, Festung) schleifen. Studentisch heißt Kartell schleifen: eine Forderung überbringen; Einen beim Kartenspiel schleifen: ihm das Geld abnehmen. Hier ist nichts zu schleifen: hierbei ist nichts zu gewinnen. Schleifen gehen: zugrunde gehen, auch: sich heimlich davonmachen, sich vor seinem Dienst drücken. Eine Sache geht schleifen: sie mißlingt, geht verloren. Hinter dieser erst um 1910 aufgekommenen Wendung steht die Vorstellung des unaufhaltsamen Abwärtsgleitens.
   Jemanden in eine Gesellschaft (ins Kino, vors Gericht) schleifen: einen Widerstrebenden (der die Beine am Boden schleifen und sich mit Gewalt ziehen läßt) mitnehmen.
   Die Zügel schleifen lassen: nicht mehr so streng sein, nicht mehr konsequent auf die Durchführung der Anordnungen achten; vgl. französisch ›laisser flotter les rênes‹.
• W. MEZGER: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur (Konstanz 1991).}
Glatte Worte schleifen. Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512.
Nasenschleifer. ›Wir, Macrobio Riesenarsch (Der Nasenschleifer)‹, Rom, Museo N.A.T.P. IV, 1, a, Nr. 5823, aus: Paolo Toschi: Populäre Druckgraphik Europas. Italien vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, München 1967, Abbildung 97.
Zu Tode schleifen. Illustration aus der›Weltchronik‹ des Rudolf von Ems, S. 104 v, Fürstlich-Fürstenbergische Hofbibliothek Donaueschingen.
   Aufnahme: Georg Goerlipp, Donaueschingen.
Jemanden schleifen. Kupfer, aus ›De origine causis, typo, et cerem oniis illius ritus, qui vulgo in Scholis Depositio appelatur‹. Oratio M. Johannes Dinckelij, Erfurt 1578. Aus: Karl Friedrich Flögel: Geschichte des Grotesk-Komischen, München 1914 (nach S. 186).

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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