Mund

Mund
In Mundarten und Umgangssprache steht für Mund meist ›Maul‹, besonders in den oberdeutschen Mundarten. Norddeutsch tritt dafür oft auch der derbe Ausdruck ›Schnauze‹, niederdeutsch ›Snuut‹ ein. Außer den bereits bei Maul aufgeführten Redensarten seien noch die folgenden ergänzt: Seinen Mund nicht auftun: schweigsam, nicht redselig sein, ›Maulfaul‹ sein; die Redensart beruht auf Jes 53,7: »Er tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird«.
   Nicht auf den Mund gefallen sein: redegewandt, schlagfertig sein; oder verstärkt: Ein gutes Mundwerk haben; niederländisch ›hij is goed van de tongriem gesneden‹, 1603 belegt; französisch ›avoir la langue bien pendue‹, ›avoir le filet coupe‹; englisch ›to have the gift of the gab‹, ›to have a well-oiled tongue‹, ›to have one's tongue well hung‹.
   Wie auf den Mund geschlagen sein: vor Verblüffung kein Wort zu sagen wissen, Sich den Mund verbrennen (bei Luther: »sich das Maul verbrennen«): unbedacht mit den Worten herausfahren, die einem dann Tadel und Unannehmlichkeiten zuziehen. Das Bild der Redensart ist vom Essen zu heißer Suppe hergeleitet, wie denn auch Lehmann S. 68 (›Behutsamkeit‹ 3) erklärt: »Wer das Maul verbrennt hat, der bläst in die Supp«; dazu auch das niederdeutsche Sprichwort: ›De kann swigen, de heet eten kann‹. Das Bild des Essens steht auch hinter Den Mund vollnehmen: übertreiben, prahlen. Leckere speisen machen den Mund wäßrig. Einem, der eine wohlbesetzte Tafel sieht, Läuft das Wasser im Mund zusammen; französisch ›l'eau vient à la bouche‹.
   Sich etwas vom Mund absparen: am Essen sparen, um sich etwas kaufen zu können; daß dies nicht richtig ist, sagt ein Sprichwort aus dem Westerwald: ›Wot mer sport on seim Mund, frißt die Katz orrer de Hund‹. Diese Redensart erscheint literarisch bereits in Hans Sachs' Schwank ›Der zu karg und der zu milt‹ (4):
   Wo er nur kund bey seinen jaren
   Ein Pfenning kund am maul ersparen –
und in seinem bekannten Fastnachtsspiele, dem ›Heiß eisen‹ (179):
   Vier gulden zwölffer, die ich doch hart
   Hab selbst an meinem maul erspart.
Einem etwas vor dem Munde wegnehmen; in älteren Belegen statt wegnehmen ›abschneiden‹, so heißt es in Murners ›Narrenbeschwörung‹ (59, 52):
   Wer all die Buben ertränkte ...
   Der thet doch gott ein dienst daran
   Das sy dem armen krancken man
   syn brot abschnyden vor dem mundt;
und in Grimmelshausens ›Simplicissimus‹ (I, 16) ist die Rede von Schmarotzern und Hungerleidern, die denen, »so etwas meritirt, das Brot vorm Maul abschneiden«; vgl. französisch ›oter à quelqu'un le pain de la bouche‹, (wörtlich: einem das Brot vom Mund wegnehmen), im Sinne von: einem den Lebensunterhalt nicht gönnen.
   Jemandem die Bissen in den Mund zählen: ihm nicht gönnen, daß er sich satt ißt. Von der Hand in den Mund leben sagt man von einem, der nicht spart, sondern das Erworbene sogleich ausgibt; scherzhaft bezieht man es auf den Zahnarzt, der davon lebt, daß er anderen mit der Hand in den Mund fährt. Einem den Mund sauber halten: ihm nichts vom Essen abgeben, auch allgemeiner: jemandem etwas vorenthalten; Wie aus einem Munde wird vermerkt, wenn zwei gleichzeitig dasselbe sagen.
   Die Redensart Warm und kalt aus einem Munde blasen oder Aus einem Mund kalt und warm blasen: zwiespältig, unaufrichtig, ›doppelzüngig‹ sein, geht auf eine Fabel Äsops (Nr. 64) zurück. Ein Waldschrat schloß Freundschaft mit einem Menschen. Eines Tages sah er, wie der Mensch sich in die Hände blies, um sie zu wärmen; kurze Zeit später, als er beim Essen saß, blies der Mann in den dampfenden Teller, um das Essen abzukühlen. Als der Waldgeist sah, daß der Mann warm und kalt aus einem Munde blies, kündigte er ihm die Freundschaft. Die Redensart ist zumindest seit dem 16. Jahrhundert bei uns bekannt. Auch in den Niederlanden ist sie verbreitet (›heet end koud uit een mond blazen‹); es gibt ein Gemälde von Jordaens über diese Fabel. Ebenso: Aus zwei Mündern sprechen: doppelzüngig sein; in der niederländischen Form ›hij spreekt uit twee monden‹, womit man einen Betrüger bezeichnet, ist die Redensart im 18. Jahrhundert auch in den niederländischen Bilderbogen dargestellt worden.
   Sehr alt ist die in Süddeutschland gebräuchliche Redensart von Mund auf in den (gen) Himmel kommen (fahren). In einer Predigtsammlung aus Salzburg heißt es 1705 in einer Kapitelüberschrift: »Von einem / der von Mund auf ist gen Himmel gefahren / weil er niemand freventlich verurtheilt hat« (Heribert von Salurn, ›Festivale‹ I, 126). Sofort, ohne Aufenthalt im Fegfeuer, gelangt die Seele in den Himmel; früher dachte man sich, daß die Seele eines sterbenden Menschen durch den Mund dem Körper entfloh. Die Redensart wurde parodiert zu: ›Von Mund auf gen Himmel fahren, gleich wie die Kuh ins Mauseloch‹.
   Der Mund der Wahrheit (italienisch ›bocca della verita‹) ist ein altes Sagenmotiv. In der Vorhalle der Kirche Santa Maria in Cosmedin in Rom steht eine antike kreisrunde Brunnenablaufmaske, die ein menschliches Gesicht darstellt, ›Mund der Wahrheit‹ (1,7 Meter Durchmesser). Daran knüpft sich die Sage, daß jeder, der einen Eid leisten soll, seine Hand in den offenen Mund dieser Plastik legen muß; wird ein Meineid geschworen, kann der Lügner seine Hand aus dem zugeschnappten Mund nicht mehr befreien. Erstmals ist diese Art der Wahrheitsfindung in Deutschland in der ›Kaiserchronik‹ bezeugt (Mitte des 12. Jahrhunderts, VV 10688-10819): Eine Witwe vertraut Julian ihren Schatz an, den dieser jedoch für sich behalten will, als sie ihn zurückfordert. Vor dem Bild des Mercurius muß Julian, die Hand im Mund der Figur, die Wahrheit schwören. Da er jedoch lügt, beißt der Mund zu und hält Julian fest, bis dieser sich zur Rückgabe des Schatzes bereit erklärt.
   In späterer Zeit verband man die Erschaffung des Bildes mit dem ›Zauberer‹ Vergil und benutzte den ›Mund der Wahrheit‹ zur Keuschheitsprobe. In der 1522 erschienenen Schwanksammlung ›Schimpf und Ernst‹ (Nr. 206) von J. Pauli wird das Bild allerdings durch eine des Ehebruchs angeklagte Frau überlistet: ihr Geliebter umarmt sie – als Narr verkleidet – vor dem Schwur, so daß sie in aller Öffentlichkeit behaupten kann, nur ihr Mann und der Narr hätten sie berührt. Das Bild soll daraufhin in tausend Stücke zersprungen sein.
   Einem nach dem Munde reden: ihm schmeicheln; Jemandem das Wort vom Munde ablesen, im gleichen Sinne wie etwa: jeden Wunsch von den Augen ablesen und damit erfüllen; ›enen deep in de Mund seen‹, ihm Glauben schenken.
   Einem über den Mund fahren: ihn scharf zurechtweisen; Einem das Wort im Munde umdrehen: seine Äußerungen entstellt weitergeben, sie absichtlich anders deuten; Das Wort aus dem Mund nehmen: dasselbe sagen, was der andere auch gerade sagen wollte; Ein Schloß an den Mund hängen: jemanden zum Schweigen bringen; Den Finger auf den Mund legen ist von der Gebärde, mit der man jemanden zum Schweigen auffordert, genommen; Einem die Worte in den Mund legen: ihm zu verstehen geben, was er sagen soll; vgl. französisch ›parler par la bouche de quelqu'un‹.
   Sich den Mund nicht verbieten lassen: sich von einer unerwünschten oder peinlichen Äußerung nicht abhalten lassen; Sich den Mund fusselig oder fransig reden: etwas ausführlich und doch wirkungslos darlegen; obersächsisch auch: ›sich Fransen ums Maul reden, sich Troddeln schwatzen‹.
   In aller Leute Mund sein: ins Gerede kommen; französisch ›être dans toutes les bouches‹; englisch ›to be in everybody's mouth‹; niederländisch ›over de tong gaan‹; Mund und Nase aufsperren: sehr erstaunt sein; Den Mund halten: schweigen; Den Mund auftun: etwas sagen; ›e krumm Maul mache‹ (elsässich), Zeichen von Unlust geben; ›wie us dem Mull gegroffe‹ sagt man im Siegerland über einen, der jemandem sehr ähnlich sieht. (Sich) kein Blatt vor den Mund nehmen Blatt, Schloß.
   Etwas geht von Mund zu Mund: ein Gerücht verbreitet sich.
• G.F. DEINLEIN: Dissertatio de dubiis quibusquam in successione ab intestatio collateralium in capita secundum regulam, So viel Mund, so viel Pfund (Altdorfi 1743); C. RIESSNER: Artikel ›Bocca della verita‹, in: Enzyklopädie des Märchens II (1979), Spalte 543-549.}
Aus zwei Mündern sprechen. Detail aus einem Bilderbogen aus Ost-Flandern, um 1700..
Der Mund der Wahrheit. Gemälde von Lukas Cranach d.Ä.: ›Der Mund der Wahrheit‹ (Reinigung gegen den Vorwurf der Untreue), um 1525/27.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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