Luft

Luft
Es liegt in der Luft wird von Ideen gesagt, die nur ausgesprochen zu werden brauchen, um sofort allgemeinen Anklang zu finden, etwa wie man sich gewisse Krankheitsstoffe, zumal wenn eine Seuche aufgetreten ist, als in der Luft schwebend vorstellt. Vgl. französisch ›C'est dans l'air‹. Dagegen bedeutet Etwas hängt (schwebt) (noch) in der Luft, es ist noch ganz ungewiß, unsicher, ist noch nicht entschieden, und Jemand hängt in der Luft: er hat keine feste Existenzgrundlage, kein Auskommen. ›En hänkt ön der Luft‹ sagt man in Trier auch von einem Menschen, der mit seiner Ansicht ganz allein steht. Euphemismen wie In der Luft tanzen, Jemandem einen Tanzplatz in der freien Luft bauen, In den Lüften schweben oder Mit der Luft spielen umschrieben früher die Galgenstrafe.
   Die Luft ist rein: jetzt ist nichts zu befürchten, es ist kein Verdächtiger anwesend (vgl. Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 60).
   Die Luft ist nicht rein! dient als Warnung und Hinweis auf unerwünschte Zuhörer, z.B. wenn Kinder anwesend sind.
   Dicke Luft nennt man ein drohendes Unheil. Schon ›Die Teütsch Spraach‹ von Josua Maaler (1561) kennt die Bezeichnung »dicker/schwarer oder boser lufft« in der Bedeutung krankmachender drückender Luft, und Gryphius schrieb: »die dicken Lüfte blitzen«. Bei Adelung und Campe bedeutete dicke Luft staubige bzw. trübe, dunstige Luft. ›Dicke Luft kriegen‹ hieß in der Soldatensprache des 1. Weltkriegs unter heftigen Artilleriebeschuß geraten. Der Frankfurter Dialekt bewahrt noch den ursprünglichen Sinn der Redensart: ›da drinne is e bes (böse) Luft‹ sagt man bei streitsüchtiger Stimmung, drohendem Unheil.
   Na, gute Luft! ist eine jüngere ironische Wendung mit der Bedeutung: Ich danke! Das kann ja gut werden. In der Schweiz bedeutete dagegen früher ›gute Luft haben‹ wohlgelitten sein. Luft haben: Bewegungsfreiheit haben; in der technischen Sprache bedeutet die Wendung, daß die beweglichen Teile, z.B. die Zahnräder in einem Uhrwerk, nicht zu eng angeordnet sein dürfen, damit sie leichten Lauf haben. In etwas ist noch Luft drin: es gibt noch einen Spielraum, eine bestimmte Handlungsfreiheit. Luft schaffen; Seinem Herzen Luft machen: bei Stieler (1699) noch in der Form »sein Herz entlüften«: sich frei aussprechen; Luft ablassen Dampf. Jemandem geht die Luft aus, er gerät außer Atem.
   Ihm ist die Luft ausgegangen: er ist zahlungsunfähig, kampfunfähig geworden. Aus etwas ist die Luft raus: es hat seine Aktualität, seine Wirkung verloren, ist verpufft. Schwäbisch ›der Luft pfeift aus'm letzte Loch‹: es geht nicht nach Wunsch (vgl. Loch). Nach Luft schnappen, eigentlich rasch und mühsam atmen, übertragen unter wirtschaftlischem oder sonstigem Druck stehen.
   Luft bekommen (oder kriegen): aus einer Schwierigkeit herauskommen; auch: Wieder etwas Luft haben, nicht mehr so unter Streß stehen.
   Halt die Luft an: Sei still!, besonders berlinisch Mir bleibt die Luft fort (weg): ich bin sehr erstaunt, sprachlos, fassungslos; vgl. französisch ›Cela me coupe le souffle‹; synonym dazu ist: Etwas verschlägt jemandem die Luft (Atem). Jemandem die Luft abdrehen (abdrücken, abschnüren) meint eigentlich ›würgen‹; übertragen: seine Handlungsfreiheit stark beschränken, ihn beruflich oder geschäftlich erledigen.
   Jemandem die Luft zum Atmen nehmen: ihn in seiner Handlungsfreiheit einschränken, ihn durch bloße Anwesenheit erdrücken, so daß er die Nähe als bedrohlich empfindet. ›He hett dat Luchthalen vergeten‹ sagt man plattdeutsch, wenn jemand gestorben ist. Rheinisch ›e macht e Gesech, wie us der Luft gefalle‹: so verdutzt (vgl. Himmel, Wolke). In die Luft fliegen, explodieren, schon bei Adelung (1796) aufgeführt, ebenso Etwas in die Luft sprengen (oder jünger: jagen), wobei die Luft hier für ›Höhe‹ steht, wie auch bei der Redensart In die Luft gehen: zornig werden, aufbrausen, wohl vom Bild des Explodierens hergenommen. Diese Wendung ist schon bei Stieler verzeichnet, jedoch noch in der konkreten Bedeutung von aus dem Haus hinaus-, ins Freie gehen.
   Wenn man an Die frische Luft geht, ohne dabei einzukehren, sagt man wohl auch scherzhaft: In die Luftschenke gehen oder Luft kneipen gehen.
   Das ist die Berliner Luft! Die Wendung stammt ursprünglich aus Paul Linckes Operette ›Frau Luna‹ (1898):
   Das macht die Berliner Luft, Luft, Luft,
   So mit ihrem holden Duft, Duft, Duft ...
Jemanden an die Luft setzen: ihn hinauswerfen, derb zum Verlassen der Wohnung auffordern; Variante zu: ›Auf die Straße setzen‹, Straße.
   Die gleiche Luft atmen: ähnliche Ansichten oder gleiche Herkunft haben.
   Gesiebte Luft atmen (schnappen): eine Freiheitsstrafe verbüßen (wegen der vergitterten Zellenfenster).
   Die Luft verändern: einen Ortswechsel vornehmen, schon in der Zimmerischen Chronik gebraucht. Daraus Luftveränderung brauchen in übertragenem Sinne für Abwechslung, Situationswechsel. Frische Luft in etwas hineinbringen: neuen Schwung in eine Sachebringen, Anstoß geben. Schweizerisch ›es got en andere Luft‹: ›die Sache hat eine Wendung genommen‹ (vgl. auch Wind).
   Jemanden wie Luft behandeln: ihn unbeachtet lassen; ›Er ist Luft für mich‹, ich beachte ihn gar nicht, eigentlich: er ist für mich gar nicht vorhanden, unsichtbar wie die Luft.
   Schon bei Sebastian Frank steht Luft redensartlich für Nichts: »ich geb nit luft umb jn« und bei Lehmann: »umbs lufts willen«. Daraus Nach der Luft greifen, haschen, nämlich nach Nichtigem, Ungreifbarem, entsprechend schwäbisch ›da tust Luft greife‹, fehl greifen. Man sagt auch von einer grundlosen Behauptung, sie sei Aus der Luft gegriffen, weil sie auf nichts beruht, keine feste Grundlage hat.
   Der Schuß geht in die Luft: trifft nicht, verfehlt das Ziel, eine giftige Bemerkung kommt nicht an. Man sagt auch; Etwas zerfließt in der Luft, Löst sich in der Luft auf, wenn es verschwindet und so zu nichts wird. Jemanden in der Luft zerreißen bedeutet in der literarischen Sprache eine vernichtende Kritik über einen Künstler, den man gleichsam zu ›nichts‹ zerfetzt. Ich könnte dich in der Luft zerreißen ist dagegen Ausdruck von Wut und dient auch als Drohung. In die Luft gucken: das Nachsehen haben, leer ausgehen (vgl. Röhre). Rheinisch ›en Loa en de Luft kike‹, den Himmel anstarren, vor sich hinstieren; vgl. ›Hans Guck in die Luft‹ In die Luft reden, Etwas in die Luft schlagen, vgl. Wind. In Frankfurt sagt man ›ich hab Luft im Leib‹: mir gurgelt der Leib vor Hunger. Scherzhaft heißt es auch, Es ist Luft im Glas, wenn es leer ist, und Die Luft aus dem Glas lassen bedeutet nachfüllen, eingießen.
   ›Der hebt sei Sach z'säme wie der Luft 's Mehl‹ sagt man in Schwaben ironisch und meint damit, wie der Wind das Mehl fortbläst. ›Du schwätzst, wie der Luft geht‹: unbeständig wie der Wind. ›Dés is e rèchta Luft‹ sagt man in Bayern von einem leichtsinnigen, oberflächlichen, windigen Menschen. Man sagte auch ›Lüftling‹, ›Lufti‹ (alemannisch) und in der Studentensprache wurde es latinisierend ›Lufticus‹.
   Von der Luft leben leben.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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