Kuckuck

Kuckuck
Der Kuckuck (mundartlich auch ›Gauch‹) gilt im Volksglauben als Glücksvogel; auch werden ihm prophetische Kräfte zugeschrieben, vor allem die Fähigkeit, die Dauer des Menschenlebens durch die Zahl seiner Rufe vorherzusagen. Schon um 1300 berichtet Hugo von Trimberg in seinem Lehrgedicht ›Der Renner‹ (V. 11339ff.):
   Swie lange aber wer sîn fröuden spil,
   daz weiz der gouch (›Kuckuck‹), der im vür war
   hat gegutzet hundert jâr.
Hierher gehört die Redensart Der hört den Kuckuck nicht mehr rufen: er wird das nächste Frühjahr nicht mehr erleben; niederländisch ›Hij zol den koekoek niet horen zingen‹. Goethe nennt in seinem Gedicht ›Frühlingsorakel‹ den Kuckuck den »prophet'schen Vogel«. Noch heute richten ledige Mädchen an den Kuckuck die erwartungsvolle Frage, wie lange sie noch ledig sein werden, und im Volkslied lautet die metaphorische Umschreibung für das Ledigbleiben einer alten Jungfer, daß sich der Kuckuck zu Tode geschrien habe. Die Zahl seiner Rufe soll ja entweder die Zahl der noch folgenden Lebensjahre oder die Zahl der Jahre bedeuten, die ein Mädchen noch bis zur Hochzeit warten muß, wie aus folgenden Versen hervorgeht:
   Kuckuck über den Stock!
   Wann krieg ich meinen Brautrock?
   Kuckuck über dem Hügel!
   Wann krieg ich meinen Sterbekittel?
Ebenso heißt es in dem Lied ›Ein Schäfermädchen weidete ...‹:
   Sie setzte sich ins grüne Gras
   Und sprach gedankenvoll:
   Ich will doch einmal seh'n zum Spaß,
   Wie lang' ich leben soll.
   Wohl bis zu hundert zählte sie,
   Indes der Kuckuck immer schrie:
   Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck.
In Schweden durfte man sich etwas wünschen, wenn der Kuckuck rief. Antwortete er, ging's in Erfüllung. Diese ›Saga‹ hat Julius Sturm in seinem Gedicht ›Ein kleines Versehen‹ lustig nachgezeichnet: Die Maid Lisa wünschte sich einen Jungen und im Stall statt ihrer einen zwölf Kühe. Als sie dem Kuckuck begegnete: »Ich wünsch mir zum Mann meinen Schatz und dazu / Zwölf Knäblein und eine kleine Kuh ...« – So geschah's.
   Dagegen lehrt ein niederdeutsches Sprichwort ›Wer den Kuckuck taum ersten Mal raupen hürt und hat Geld in de Tasch, denn hat hei't das ganze Johr‹.
   Da das Kuckucksweibchen seine Eier in die Nester anderer Vögel legt, besagt die Redensart Da hat er mir ein Kuckucksei ins Nest gelegt soviel wie: er hat mir ein zweifelhaftes Geschenk gemacht, er hat mir unnütze Scherereien verursacht. Der Kuckuck zieht also seine Jungen nicht selbst auf. Die Redensart Wie der Kuckuck seine Eier in fremde Nester legen bedeutet daher: sich vor etwas Unangenehmem drücken.
   Ein Kuckucksei nennt man auch das Kind eines anderen Vaters, das mit großgezogen werden muß.
   Das Kuckucksjunge schlüpft früher als seine ›Geschwister‹. Der junge Kuckuck ist beinahe unersättlich und wächst schneller als die Jungen der Grasmücke, in deren Nest er herangezogen wird. Er wirft die jungen Grasmücken aus dem Nest, er greift manchmal sogar das Grasmückenweibchen an. Du undankbarer Kuckuck! sagt man daher zu den Kindern, die ihren Eltern und Erziehern gegenüber undankbar sind. Man spricht von Kuckucks Dank, wenn man ›Undank‹ meint, so wie schon das lateinische Sprichwort sagt: ›Eandem mihi gratiam refers ut cuculus currucae‹.
   Bei einer Pfändung klebt der Gerichtsvollzieher auf die gepfändeten Gegenstände eine Marke, auf der früher der Reichsadler abgebildet war. Das Wappentier nannte man spöttisch Kuckuck, und daher stammt die Redensart Den Kuckuck aufkleben: pfänden. Die Redensart Das weiß der Kuckuck ließe sich leicht an den Volksglauben von der wahrsagerischen Fähigkeit des Vogels anknüpfen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß in dieser und einer großen Anzahl anderer Redensarten mit dem Namen des scheuen, mehr gehörten als gesehenen Vogels der Teufel gemeint ist. Seit dem 16. Jahrhundert schreibt der Volksglaube dem Kuckuck ein Verhältnis zum Teufel zu, vielerorts sieht man in ihm auch den Teufel selbst.
   Kuckuck gehört heute zu den häufigsten Wörtern wie ›Donner‹, ›Geier‹, ›Himmel‹, die als Euphemismen in Flüchen und Verwünschungen für den Teufel gebraucht werden, z.B.: Der Kuckuck soll dich holen; Zum Kuckuck; Alles ist zum Kuckuck; Der Kuckuck ist los; In des Kuckucks Namen; Scher dich zum Kuckuck, Geh zum Kuckuck! Matthias Claudius singt 1775 im ›Rheinweinlied‹ vom Blocksberg:
   Drum tanzen auch der Kuckuck und sein Küster
   auf ihm die Kreuz und Quer.
Auch im Märchen begegnet der Kuckuck gelegentlich, z.B. in den Wendungen ›Des Guckgucks sein‹ (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 61) und ›Lohns euch der Guckuck‹ (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 161).
   Der eintönige Ruf des Kuckucks führte zu zahlreichen Redensarten, z.B. Das ist der alte Kuckucksge-
sang: immer wieder dasselbe, immer das alte Lied; niederländisch,›'t is altijd koekoek een zang‹.
   Den Kuckuck singen lehren, »den Gouch lernen singen« (Murner): zu außerehelichem Verkehr verführen.
   Kuckuck unter Nachtigallen nennt man einen Laien unter Fachleuten, wohl nach der Gellertschen Fabel, in der der Kuckuck einen Sängerwettstreit mit der Nachtigall wagt; Eule.
   Sich den Kuckuck um etwas scheren, betont ablehnende Redensart, Deut.
   Mit seinem satirischen Werk ›Die Geuchmatt‹ (1519) wollte Thomas Murner das unmännliche Wesen seiner Zeitgenossen bekämpfen. Er konnte sich bei der Wahl des Buchtitels auf eine schon in mittelhochdeutschen Zeit gebräuchliche Nebenbedeutung des Wortes ›gouch‹ berufen; ›gouch‹ meint schon früh soviel wie ›Tor‹, ›Narr‹, ›Buhler‹ und wird als Schimpfwort bereits bei Walther von der Vogelweide verwendet. Zweifellos ist die Bezeichnung ›Gouchmatt‹ für einen Ort, an dem sich Verliebte treffen, schon vor Murners Satire volkstümlich gewesen.
   Ich will nicht der Kuckuck sein, der immer seinen Namen ruft: ich will mich nicht selbst loben.
• O. KELLER: Die antike Tierwelt 2 (Leipzig 1913), S. 63-67; E. SEEMANN: Artikel ›Kuckuck‹, in: Handbuch des Aberglaubens V, Spalte 689-751; K. LÖBER: ›Den Kuckuck holen‹,in: Hessische Blätter für Volkskunde 42 (1951), S. 71-76; W. DANCKERT: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, IV (Bonn – Bad Godesberg 1978), S. 1361-1379; E. UND L. GATTIKER: Die Vögel im Volksglauben (Wiesbaden 1989), S. 277-320.
Ein Kuckucksei ausbrüten. Holzschnitt aus Thomas Murners ›Geuchmatt‹, 1519: ›den gouch vßbrieten‹.
Ein Kuckucksei ausbrüten. Kuckuck in einem Grasmückennest, Zeichnung, aus: Das Pfenning- Magazin, H. 345, von 9. November 1839, S. 356.
Ein Kuckucksei ausbrüten. Jusos als Kuckucksei im Nest der SPD – Politische Karikatur.
Den Kuckuck singen lehren. Holzschnitt aus Thomas Murners ›Geuchmatt‹, 1519: ›den gouch lernen singen‹.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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