Auge

Auge
Ein Auge zudrücken: (ein Vergehen) milde beurteilen und nachsichtig behandeln. Wer ein Auge zudrückt, sieht weniger als der, der mit beiden Augen zusieht (Gegensatz ›Vier Augen sehen mehr als zwei‹). In den altdeutschen Weistümern, den bäuerlichen Rechtssatzungen, wird der Richter manchmal angewiesen, einen einäugigen Büttel mit einem einäugigen Pferde zu schicken, um anzudeuten, daß er unter Umständen Gnade vor Recht ergehen lassen solle. Eine neuere Steigerung der Redensart ist Beide Augen zudrücken: etwas, was man beobachten sollte, absichtlich übersehen. Die personifizierte Gerechtigkeit verhüllt beide Augen mit der Binde, um gerecht und ohne Ansehen der Person zu urteilen.
   Seine Augen vor etwas verschließen: etwas ganz bewußt nicht wahrhaben wollen.
   Jemandem ein Auge zuhalten: jemanden betrügen (vgl. die Historie 35 im Eulenspiegel-Volksbuch).
   Die Augen schließen ist eine Umschreibung für sterben, zeitlich.
   Es fällt mir wie Schuppen von den Augen: jetzt begreife ich die Sache endlich. Die biblische Redensart ist der Bekehrung des Saulus (Apg 9, 18) entlehnt, ähnlich {\i Die Augen gehen einem auf.
   Jemandem die Augen öffnen}: ihm die (bittere)
Wahrheit zu verstehen geben über eine Person oder Sache.
   Sich Augen machen: sich nach der Einfahrt ins Bergwerk etwas aufhalten, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Der einfache Gedankengang geht davon aus, daß man nicht sieht, weil man keine Augen hat (O.H. Werner, S. 48).
   Die Augen in die Hand nehmen (ähnlich wie ›Die Beine unter den Arm nehmen‹, tüchtig laufen): sehr genau zusehen. Allgemein bekannt ist die Drohung ›Wart, ich werd' dir die Augen aufknöpfen!‹, auch mundartlich z.B. mecklenburgisch: ›Ik will em de Ogen upknöpen!‹; sächsisch ruft man in scherzhaftem Latein ›Sperr oculos!‹ = sperr die Augen auf! Die anonym gewordene Wendung ist ursprünglich ein Zitat und stammt aus A.F.E. Langbeins (1757-1835) Gedicht ›Abenteuer des Pfarrers Schmolke und Schulmeisters Bakel‹ (Strophe 14).
   Andere biblische Wendungen sind: In die Augen springen (fallen, stechen), Ein Auge auf etwas haben (richten, werfen), Etwas ins Auge fassen, im Auge behalten. Mehrere dieser Wendungen hat Bismarck in einer Rede wortspielerisch gegeneinandergesetzt; er sagt von Eugen Richter (Reden VII, 20): »Er hat seinen Entschluß kundgegeben, diese selbe Bahn scharf im Auge zu behalten. Nun, das ist eine Wendung, die ich aus dem administrativen Diktionär kenne. Wenn jemand auch nicht recht weiß, wie er es machen will, dann sagt er: ich werde die Sache im Auge behalten, und wenn Sie diese Vertröstung am Regierungstisch mitunter auch gehört haben, so werden Sie danach das Maß dessen, was einer ›im Auge behält‹, finden können. Ich möchte darauf lieber das Maß des andern Sprichwortes anwenden, was eben sagt, daß man nicht viel im Auge behalten kann; es ist so wenig, daß man's ›im Auge leiden kann‹. So ist auch der Trost, den der Herr Vorredner für die Erfüllung der Reichsbedürfnisse im Auge behalten hat, so klein, daß man ihn allerdings im Auge leiden kann«.
   Etwas im Auge haben: ein bestimmtes Ziel verfolgen; Etwas (jemanden) nicht aus den Augen lassen: ständig einer Sache eingedenk sein, jemanden genau beobachten, ihn verfolgen. ›Das Auge des Herrn macht das Pferd fett‹, wo alles gut beaufsichtigt wird, gedeiht es, wächst der Wohlstand. Das sprachliche Bild stammt aus der Antike und ist bei verschiedenen Schriftstellern belegt. So steht z.B. bei Aristoteles zu lesen, daß jemand auf die Frage, was ein Pferd am meisten fett mache, antwortete: »Das Auge des Herrn«. Im Mittelalter erscheint das Sprichwort dann in deutscher Form: »Waisst nicht noch, daz ich dâ waiss, dein selbers aug daz vich macht faiss«. Ähnlich lautet ein griechisches Sprichwort: ›Das Auge des Herrn macht die Kühe fett‹.
   Das Sprichwort ›Das Auge des Herrn sieht mehr als das des Knechts‹ gehört zu einer Tiererzählung (Aarne-Thompson 162). Im Deutschen spricht man vom alles überwachenden ›Auge des Gesetzes‹ oder auch vom ›Auge Gottes‹, das alles sieht.
   Etwas (jemanden) aus den Augen verlieren: etwas (jemanden) in Vergessenheit geraten lassen.
   Der Ausdruck Ein böses Auge haben beruht auf dem Glauben, daß der Blick gewisser Menschen schädlich wirke ( Blick). Das Altertum war ganz und gar in dem Aberglauben an den ›Bösen Blick‹ befangen, und in Griechenland wie in Italien war die Furcht vor seinem schädlichen Einfluß verbreitet. Die Volksmeinung darüber hat sich vielerorts noch bis in den Volksglauben der Gegenwart erhalten. Der böse Blick wird denen zugeschrieben, die auch sonst als zauberkräftig gelten (Fahrenden, Hebammen, Hexen), und er wird gefürchtet für die am meisten gefährdeten Personen (Kinder, Bräute, Schwangere) oder bei wichtigen Verrichtungen.
   Augen werfen: durch den ›bösen Blick‹ anderen Schaden zufügen. Aarne-Thompson 1006 verzeichnet unter ›Casting Eyes‹ (Typ 1685): »Ordered to cast eyes on this or that, he kills animals and throws their eyes at the object« (K 1442). Der Ausdruck ›Einen Blick werfen‹, Sein Auge auf etwas werfen wird von Wolfram von Eschenbach (›Parzival‹ 510, 2) mit einem etwas gewaltsamen Scherz konkretisiert:
   maneger siniu ougen bolt,
   er möhts ûf einer slingen
   zu senfterm wurfe bringen.
Das ›Augen zuwerfen‹ wird im Märchen (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 32) wörtlich genommen.
   Ein Auge riskieren: heimlich seitwärts schauen, mit schnellem, neugierigem Blick eine verbotene Sache oder Situation zu beobachten wagen; erst seit dem 1. Drittel des 20. Jahrhunderts bezeugt.
   Auge um Auge, Zahn um Zahn ist eine biblische Redensart nach Ex 21, 34 und Lev 24, 20, Dtn 19, 21 und Mt 5, 38 in Luthers Übersetzung.
   Die mittelhochdeutschen Redensarten bei den Augen verbieten und einem an die Augen drohen beziehen sich als Drohung auf die Strafe, einem die Augen auszureißen. Bei Caesarius v. Heisterbach (9, 38) heißt es: »Praecipio tibi sub interminatione oculorum tuorum«. Auch im mittelniederländischen ›Lancelot‹ (V. 38457) wird die Wendung gebraucht: »er gebôt hen bi haren ogen«.
   Sich die Augen ausweinen: so viel weinen, daß die Augen nichts mehr erkennen können. Die Redensart stammt aus dem Klagelied Jer 2, 11.
   Einem gehen die Augen über: die Tränen kommen ihm. Die Wendung beruht auf Luthers Übersetzung von Joh 11, 35, wo dies von Jesus gesagt wird. Goethe braucht sie in seiner Ballade ›Der König von Thule‹:
   Die Augen gingen ihm über
   Sooft er trank daraus.
In veränderter Form schreibt Wilhelm Müller in seinem Gedicht ›Der Glockenguß zu Breslau‹:
   Die Augen gehn ihm über,
   Es muß vor Freude sein.
Da bleibt kein Auge trocken: alle sind gerührt. In dem Gedicht ›Paul. Eine Handzeichnung‹ von Joh. Daniel Falk (1768-1826) heißt es:
   In schwarzen Trauerflören wallt
   Beim Grabgeläut der Glocken
   Zu unserm Kirchhof jung und alt:
   Da bleibt kein Auge trocken.
Die Redensart ist in Inhalt und Formgebung so naheliegend und einfach, daß sie wohl nicht erst als Zitat einem Gedicht entlehnt zu werden brauchte; doch ist die Redensart erst vier Generationen nach Falk im Wortschatz der Umgangssprache nachweisbar. Eine ziemlich entgegengesetzte Bedeutung hat diese Redensart in neuerer Zeit gewonnen, wenn sie als ›Kommentar‹ bei vermeintlich oder wirklich aufregenden Ereignissen geäußert wird: wenn ein Blitzschlag kracht, wenn Granaten einschlagen, bei einem überraschenden Stich im Kartenspiel, bei – verbalen oder tätlichen – Auseinandersetzungen, beim Aufdecken eines Skandals, beim Hinweis auf eine interessante Bühnenshow, auf eine gut aussehende weibliche Person u.ä.
   Mit einem lachenden und einem weinenden Auge ist in der heutigen deutschen Sprache wohl ein anonym gewordenes Shakespearezitat. Im ›Hamlet‹ (I, 2) heißt es: »With one auspicious and one dropping eye«, was die Schlegel-Tiecksche Übersetzung ›mit einem heitern, einem nassen Aug'‹ wiedergibt. Doch liegt der Redensart vielleicht ein älteres Märchenmotiv zugrunde. So findet sich in einem rumän. Märchen ein Kaiser, der mit dem rechten Auge immer lacht, mit dem linken weint (M. Kremnitz: Rumänische Märchen [Leipzig 1882], S. 238).
   Bei Henssen trägt eine ungarndeutsche Märchenaufzeichnung den Titel ›Der König mit dem weinenden und dem lachenden Auge‹, in der es heißt (S. 61: »Jetz is der Keenig immer beim Fenster gstandn und hot immer nausgschaut, ob er net sein beste Kumerod, sein besten Kollege sehn werd kenne. Und er hot eahn holt nie gsehgn. Des eini Aug hot immer glacht, und des anderi Aug woar immer betrièbt. Und die Buebn – woaren obr immer der eini greßer wie der anderi – und ham den Keenig nich traut, den Voder, frogn, warum des eini Aug lachn tuet und des anderi Aug is betrièbt« (G. Henssen: Ungarndeutsche Volksüberlieferungen, Erzählungen und Lieder [Marburg 1959], S. 61 f.).
   Mit offenen Augen schlafen: unaufmerksam sein. Die Redensart hat einen Bedeutungswandel durchgemacht und meinte in der Humanistenzeit noch: immer wachsam, auf der Hut sein, selbst im Schlaf. In der Emblematik ist deshalb der Hase ein Symbol der Wachsamkeit (vgl. Hasenschlaf, Hase, Löwe).
   Die Wendung Mit sehenden Augen nicht sehen geht andererseits auf Mt 13, 13 und Ps 115, 5 zurück. Schon 1191 gebraucht der Minnesänger Heinrich v. Rugge die Wendungen: »Wir sîn mit sehenden ougen blint« (Minnesangs Frühling 97, 40).
   Seinen eigenen Augen nicht trauen etwas nicht glauben können (wollen).
   Er hat Knöpfe vor den Augen sagt man, wenn einer eine Sache sucht und nicht bemerkt, daß sie unmittelbar vor ihm liegt.
   Ein Auge voll (Schlaf) nehmen: ein wenig schlummern.
   Die Augen schonen: schlafen; die humorvolle Redensart ist seit dem 1. Weltkrieg, zunächst soldatensprachlich aufgekommen. Obersächsisch sagt man von einem Langschläfer ›Er schläft sich Maden in die Augen‹, er schläft so lange, bis er stinkig wird wie ein madiger Käse.
   Ganz Auge sein: genauestens beobachten, fasziniert sein, seinen Blick nicht lösen können.
   Die allgemeine Wendung Große Augen machen (vor Erstaunen) wird in den Mundarten mit sprichwörtlichen Vergleichen zum Teil noch originell erweitert, z.B. ostfriesisch ›He makt Ogen as 'n tinnen Schöttel‹; obersächsisch ›Die Augen aufreißen wie Käsenäppel‹.
   Seine Augen sind größer als der Magen (Mund) sagt man von einem, der sich mehr auf den Teller gehäuft hat, als er bewältigen kann, vgl. niederländisch ›Zijn ogen zijn groter dan zijn maag‹; englisch ›His eyes are bigger than his belly (stomach)‹; französisch ›Il a les yeux plus grands que le ventre‹; italienisch ›Ha più grandi gli occhi che la bocca‹. Die Redensart gehört zu dem Sprichwort ›Man füllt den Bauch eher als das Auge‹, doch ist die Redensart bekannter. Schon in einer anonymen Sammlung von 1532 heißt es (Nr. 245): »Die Augen seyndt weitter denn der Bauch«.
   Mit dem linken (rechten) Auge in die rechte (linke) Westentasche sehen schielen; berlinisch ›Er kiekt mit's rechte Ooge in de linke Westentasche‹. Ähnlich, aber mit anderer Bedeutung ostpreußisch ›Er kiekt mit dem einen Aug' nach Keilchen (Klößen) und mit dem andern nach Speck‹, er möchte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, zwei Vorteile gleichzeitig erlangen. Der Scharfsichtige Hat oder macht Augen wie ein Luchs (oder wie ein Falke). Augen machen wie ein gestochenes Kalb: schmerzlich verblüfft, hilflos, dumm, töricht, stumpfsinnig dreinschauen wie ein verendendes Kalb.
   Stielaugen wie die Setzeier machen: auffällig nach etwas hinsehen.
   Einem etwas aus den Augen schwören: ihn glauben machen, daß er falsch sieht, schon von H. Sachs (II, 412b verwendet:
   ja wilt dich keren an sein jehen
   (an das, was er sagt),
   so schwert er dirs ja aus den augen.
Einem Sand in die Augen streuen: ihn täuschen, Sand; Einem die Augen auswischen: ihn übervorteilen, vielfach mundartlich.
   Mit einem blauen Auge davonkommen: mit einem geringen Schaden einer großen Gefahr entgehen, eigentlich: mit einem blauen Fleck neben dem Auge davonkommen, wo das Auge selbst gefährdet war. Das Auge ist die empfindlichste Stelle des Körpers; das kleinste Splitterchen richtet in ihm schon die peinlichste Störung an, deshalb auch mundartlich bairisch ›kein Augweh‹ – ›koan Augwehle‹, gar nichts Übles, überhaupt nicht das mindeste; hessisch ›Noch nett suvill, wei mer im Aag leire kann‹, noch nicht soviel, wie man im Auge leiden kann, nichts. Ähnlich am Rhein ›Dat ka mich en en Og lige‹, nicht das geringste. Diese Redensart ist schon bei Meister Eckhart bezeugt (›Reden der Unterscheidung‹, Kleine Texte 117, S. 41, Z. 17-20): »Ja in der warheit, das wil got kein wiss nit, das wir als vil eigens haben, als mir in minen augen moechte ligen«. Dieser Text wurde vielfach in den Übersetzungen völlig mißverstanden (vgl. hierzu Luise Berthold: ›Eine mißverstandene Eckhartstelle‹, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift, 15 [1927], S. 232f.).
   Das hätte ins Auge gehen können: das hätte eine schlimme Wendung nehmen können. Die um 1900 aufgekommene Redensart kennt die hochgradige Empfindlichkeit des Auges und faßt alles, was nicht das Auge verletzt, für weniger schlimm auf.
   Das paßt wie die Faust aufs Auge: es paßt ganz und gar nicht, Faust; Einem ein Dorn im Auge sein Dorn; Das Kalb ins Auge schlagen: Anstoß erregen, Kalb.
   Einem schöne Augen machen; Einem (einer) zu tief ins Auge geschaut haben: verliebt sein; obersächsisch ›mit den Augen klappern‹, verliebt und kokettierend umherblicken.
   Um ihrer schönen Augen willen: unberechtigterweise Zugeständnisse machen, Vorteile geben. Die Redensart wurde nach Molières Stück ›Précieuses ridicules‹ (Szene 15) gebildet, wo es heißt: ›pour leur beaux yeux‹. Die Redensart Seiner schönen Augen halber ist ironisch gemeint. Vorgebildet erscheint sie bereits in einer Satire gegen Murner: ›Ein schöner Dialogus zwischen einem Pfarrer und Schultheiß‹, wo der Schultheiß zum Pfarrer sagt: »Meint Ihr, man geb Euchs (Pfründe und Einkommen) Euers hübschen harß willen?«
   Einem aus den Augen (aus dem Gesicht) geschnitten sein: ihm sehr ähnlich sehen. Die Redensart ist vermutlich eine relativ späte Vermischung zweier ursprünglich voneinander unabhängiger Wendungen Nach alter Vorstellung gilt der Mensch als ein Kunstwerk des Schöpfers; so sagt Walther von der Vogelweide (53, 25) von einer schönen Frau:
   Got hâte ir wengel hôhen flîz:
   er streich so tiure varwe dar,
   sô reine rôt, sô reine wîz,
   hie roeseloht, dort liljenvar.
Unserer Redensart näher steht Konrad von Würzburg, wenn er in seinem Epos ›Der Trojanerkrieg‹ (V. 15285) die Ähnlichkeit der Jocundille mit ihrem Vater Achill schildert:
   und ist ir lîp Achille
   sô gar gelîch an allen sitten,
   als ob sie von im sî gesnitten
   und alerêrst von im gehouwen.
Daneben steht die ebenfalls ältere Wendung Das Kind sieht dem Vater aus den Augen. Aus beiden Wendungen bildete sich als Kontamination: Das Kind ist dem Vater wie aus den Augen geschnitten. Bei dem Barockdichter Andreas Gryphius (1616-64) begegnet die Redensart am frühesten in ihrer heutigen Form: »Ihr gleichet ihr (der Mutter) so eben, als wenn ihr ihr aus den Augen geschnitten wäret«.
   Ihm etwas an den Augen ablesen (absehen), die ältere Form dieser Redensart hieß ›ihm etwas aus den Augen stehlen‹. So schon mittelhochdeutsch, z.B. in Ottokars ›Österreichischer Reimchronik‹ (V. 85476):
   den worten und dem dône
   den ir ietweder hie
   ûz sinem munde lie,
   daz herze nicht gehal
   wand ir ietweder stal
   dem andern ûz den ougen
   sînes herzen tougen.
Gnade vor deinen (meinen, seinen) Augen finden geht auf Gen 18, 3 u.a. biblische Stellen zurück.
   Unter vier Augen: ganz unter sich, ohne Zeugen, persönlich.
   Es steht auf zwei Augen sagt man von einer Familie, einem Geschlecht, wovon nur noch ein Namensträger (Erbe) existiert, aber auch von einem Land, einer Regierung, einer Partei, einem Industriewerk oder einer Organisation, wenn deren Schicksal von einem einzigen Menschen abhängt und bei seinem Weggang oder Tod eine unausfüllbare Lücke entsteht. Dagegen stammt die Redensart Auf seinen fünf (auch sieben, elf, achtzehn) Augen sitzenbleiben (auch beharren): hartnäckig bei seiner Meinung bleiben, aus dem Würfelspiel, wo bisweilen unter den Spielern Streit entsteht, wieviel Augen einer geworfen hat. Die Redensart findet sich schon im 16. Jahrhundert in Oldekops ›Hildesheimer Chronik‹ (S. 55): »dat de von Salder up eren vif ogen beharden«.
   ›Aus den Augen, aus dem Sinn‹ ist ein bekanntes Sprichwort, das besagt: was man nicht mehr sieht, vergißt man schnell. Es wird besonders auf Liebende und ihr Schicksal bezogen, wenn sie sich für längere Zeit trennen müssen; vgl. englisch ›out of sight, out of mind‹.
   Im Augenblick, nur einen Augenblick lang: so schnell, wie beim Blinzeln die Augen geöffnet und geschlossen werden. Noch im Langenholtenser Hegericht (1651) heißt es: »so lange augebra von der andern leuchtet«. Erst bei Agricola (Nr. 442) kommt die Wendung in der heutigen Form vor: »Wir Deutschen haben der Hiperbolen vil, damit etwas bald und schnell geschieht, Ynn einem nu was es geschehen, ynn einem augenblick. Denn wir können nichts behenders machen, denn einn aug auff vnd zutun. Wir sagen auch unverwarntersachen, vberplötzlich, unversehens.«
   Als ›Augenpulver‹ bezeichnet man eine sehr kleine Druckschrift oder eine völlig unleserliche Handschrift. Eine ›Augenwischerei‹ ist ein betrügerisches Vorgehen, Augenwischerei.
• J. GRIMM: Rechtsaltertümer I, S. 335; M. STEWART: Out of sight, out of mind, in: American Notes and Queries 3, 8 (1865); R. RADROWSKI: Das Auge des Gesetzes wacht, in: Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins 24 (1909), S. 267; S. SELIGMANN: Der böse Blick und Verwandtes, 2 Bde. (Berlin 1910); H.S. JONES: A proverb in ›Hamlet‹ (to cry with one eye and laugh with the other), in: Modern Language Notes 27 (1912), S. 210-211; E. BENSLEY: The eye is the window of the soul, in: American Notes and Queries 153 (1927), S. 68; S. SELIGMANN: Artikel ›Auge‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens I, Spalte 679-701; E. LERCH: L'échapper belle (mit einem blauen Auge davonkommen), in: Revue Française 54 (1940), S. 202-226; K. MEISEN: Der böse Blick und seine Abwehr in der Antike und im Frühchristentum, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 1 (1950), S. 144-177; 3 (1952), S. 169-225; R. STRÖMBERG: Griechische Sprichwörter (Göteborg 1961); R.E. PECK: ›Out of Sight‹ is back in view, in: American Speech 41 (1966), S. 78-79; KÜPPER; KRÜGER-LORENZEN I, S. 20-23; BÜCHMANN; W. GEWEHR: Der Topos ›Augen des Herzens‹. Versuch einer Deutung durch die scholastische Erkenntnistheorie, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 46 (1972), S. 626-649; G. MONTEIRO: Eyes in the glass, in: Proverbium 24 (1974), S. 955; H. LIXFELD: Artikel ›Augenwerfen‹, in: Enzyklopädie des Märchens I, Spalte 1006-1010; H. SCHIPPERGES: Die Welt des Auges (Freiburg i. Br. 1978); W. JAEGER: Augenvotive. Votivgaben, Votivbilder, Amulette (Sigmaringen 1979); G. SCHLEUSENER-EICHHOLZ: Das Auge im Mittelalter, 2 Bde. (= Münstersche MA-Studien 35) (Münster 1980); A. DUNDES (Hrsg.): The evil Eye (New York – London 1981); TH. HAUSCHILD: Der böse Blick (Berlin 2. Auflage 1982); U. JEGGLE: Der Kopf des Körpers. Eine volkskundliche Anatomie (Weinheim – Berlin 1986), S. 77-102; G. PETSCHEL: Artikel ›Herr sieht mehr als Knecht‹, in: Enzyklopädie des Märchens VI, Sp 863-866.
Die Augen öffnen. Zeichnung von Tomi Ungerer, aus: ders.: Adam & Eva, Zürich 1974, S. 70.
Das Auge des Herrn macht das Pferd fett. Gemälde von Jakob Jordaens (1593 bis 1678), Staatliche Gemäldegalerie Kassel.
Das Auge des Gesetzes wacht. Nach dem Ölgemälde von Carl Kronberger, aus: Die Gartenlaube, Jg. 1884, S. 324.
Da bleibt keen Ooge drocken. ›Disharmonie‹, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 8565, aus: S. und K., S. 88.
Mit offenen Augen schlafen. Kupferstich von Matth. Merian zu: Julius Wilhelm Zincgreff: Emblematvm / Ethico-Politicorvm / Centvria, Heidelberg 1619, Nr. 1, aus: Henkel und Schöne, Spalte 400.
Mit offenen Augen schlafen. Joachim Camerarius, jun.: Symbolorvm / et / Emblematvm ex / Animalibvs Qvadrvpedibvs / Desvmtorvm / Centvria Altera / Collecta, Nürnberg 1595, Nr. 73, aus: Henkel und Schöne, Spalte 482.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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