Hundshaare

Hundshaare
Hundshaare auflegen: einen Katzenjammer durch neues Trinken bekämpfen. Die Redensart entspricht ursprünglich tatsächlicher Volksmedizin: gegen den Biß eines tollwütigen Hundes soll das Auflegen des Hundehaares helfen, und zwar zunächst von demselben Hund, der gebissen hat. Nach dem Sympathieheilverfahren wird Gleiches durch Gleiches geheilt. Schon Plinius erwähnt: ›Aliqui ... intus ipsius caudae pilos combustos insuere vulneri‹. Die Anwendung dieses Heilmittels, das bereits in der Edda empfohlen wird (Hundehaar heilt Hundebiß), ist heute noch allgemein verbreitet. Der Unterpfälzer Pfarrer Johannes Rhode aus Bischleben schreibt in seinem ›Neidhard‹ (1582), nachdem er ausgeführt hat, wie der Neidhard manchen unschuldigen Menschen mit seinen Hundszähnen beißt: »Etliche, damit sie iren Schaden heilen mögen, zausen sie dem neidischen Hunde den Beltz widerumb redlich, und nemmen seiner Haar, drücken sie in ire Wunden, das sol auch helffen, dass die Wunde desto ehe heile. Ich habe solcher Hundeshaar, die den beissenden Hunden aussgeraufft sind, viel gesehen, aber zu Franckfurt auff der Messen sind ir viel zu verkäuffen«. Man hielt also damals Hundshaare feil. So scheint auch Luther den Heilvorgang aufzufassen, der in der Auslegung des 3. Kapitel Joh. sagt
(WA. XLVII,67): »Wen man von einem tollen Hunde gebissen wird, so muss man Hundshaar wider aufbinden, so wird der Biss geheilet«; und ebenso steht in Christoph Lehmanns ›Florilegium Politicum‹ (430): »Wer von Hunden wird gebissen, der heilts mit Hundsharen«. Noch im 19. Jahrhundert schreibt Sachse (›Der deutsche Gilblas‹, 1822, S. 163): »Ich fand, daß mich der Hund blutig gebissen hatte. Zum Glück fand sich unter den Gästen ein Balsamhändler, welcher mir seine Hülfe anbot, mir die Wunde auswusch, und, nachdem er Hundshaare mit Balsam darauf gelegt hatte, verband«.
   Die Redensart erhielt ihre heutige Bedeutung durch den Vergleich der Folgen unmäßigen Alkoholgenusses mit dem Biß eines tollen Hundes. Eine nette Schnurre erzählt Melchor de Santa Cruz de Duennas in seiner zum ersten Mal 1574 erschienenen ›Floresta espanola‹: Ein Stadtschreiber von Toledo besuchte einen Kranken, der in dem Rufe stand, viel zu trinken. Er fragte, was zu seiner Heilung geschehe, und ihm wurde geantwortet, man habe ihm ein Pflaster von Weinlaub aufgelegt; da antwortete er: »Recht so; das ist das Haar von dem Hunde, der ihn gebissen hat«. Hier haben wir die Verwendung der Redensart in dem übertragenen Sinne, den wir ihr auch heute noch geben. Aber schon bei Hans Sachs heißt es in seinem 1554 vollendeten Fastnachtsspiel ›Sant Peter leczet sich mit sein Freunden ...‹ (V. 63ff.):
   O wie war ich nechten so vol!
   Drumb thut mir hewt der Kopff nit wol.
   Kan mich schir weder puckn noch regen.
   Wil gleich des Hars heint überlegen
   Vom Hund, welcher mich nechten pais.
   Kain pessre Erzeney ich wais,
   Den ein Füll mit der andern vertreiben.
Auch J.F. Jünger schreibt 1807 (›Fritz‹, Band 3, S. 23): »Weißt du nicht, daß das den Hundsbiß kuriert, wenn man von dem Hunde, der einen gebissen hat, Haare auf die Wunde legt? Mit dem Weine muß mans auch so machen«.
   Die Redensart ist im Deutschen besonders stark verbreitet, und eher sonderbar mutet an, daß Clemens Brentano in der ›Gründung Prags‹ (1815) erklären zu müssen glaubt: »Von neuem trinken, um den Katzenjammer zu überteufeln, heißt in derselben Sprache (nämlich in der der vollen Brüder) Hundshaare auflegen«. Hermann Kurz freilich scheint den Kontrast zwischen Hundshaaren und Katzenjammer zu fühlen, indem er dichtet (›Genzianen‹,1837, 225ff.)
   Ein Haar von der Katze,
   Die dich gebissen hat,
   Eine Kralle von der Tatze,
   Die dich gerissen hat,
   Das nimm am frühen Morgen,
   Zu stillen deine Sorgen,
   Sei es nun Bier, Schnaps oder Wein,
   Nimm es zum Morgenessen ein.
Vgl. auch niederländisch ›Het haar van den hond op iets leggen‹ und englisch ›Take a hair of the dog that bit you‹.
   Hundshaare einmengen, Einem Hundshaare unter die Wolle schlagen: ihn betrügen; eigentlich den Stoff, den man für reine Wolle verkauft, durch Einmischung von Hundshaaren schlechter machen. Luther braucht in seinen ›Tischreden‹ (479a) die Wendung »Allerley Hundshaare mit hineinhacken« in der Bedeutung etwas verderben, verschlimmern. Die mundartlichen niederdeutschen Redensarten ›Doar sünd Hunn'nhoar mank hackt‹ und ›he hät Hunnehor tortwisken hackt‹ (Lippe) meinen: es ist Unfriede gebracht, Streit und Händel sind verursacht worden. Wie man am besten auf diese Weise Zwistigkeiten erregen zu können glaubte, wird in einer Handschriftensammlung des Germanischen Museums (Nr. 3015a) aus der Zeit um 1600 beschrieben, wobei die Verwendung von Katzen- und Hundehaaren empfohlen wird: »Recipe katzenhaar, die langen, die vmb den mundt sind, vnd hundshaar desselbigengleichen, vnd wüerff sie zwyeschen die zwey wan sie essen oder mit eynander trincken vnd sprich darneben: ich beschwere euch bey alle den hellischen Geistern, das ihr seit gute Freunde als katz vnd hundt«.
• J. VERDAM: »Het haar van den hond«, in: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 12 (1893), S. 140-149; O.V. HOVORKA u. A. KRONFELD: Vergleichende Volksmedizin (Stuttgart 1 909), II, S. 425f.; A. ENGLERT und J. BOLTE: »Hundshaare heilen den Hundebiß«, in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 29 (1919), S. 44; A. WESSELSKI: Hundshaare und Katzenjammer, in: Erlesenes (Prag 1928), S. 13-17; H. HEPDING: »Hundshaare«, in: Hessische Blätter für Volkskunde 30-31 (1931-1932), S. 288.

Das Wörterbuch der Idiome. 2013.

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